Familienbande
hatte. Aber das würde er morgen zurückbekommen. Langsam stand Laney auf und riss sich zusammen, um nicht aufzustöhnen. Sie hatte in den letzten Tagen schon Schlimmeres abbekommen, also durfte sie sich gar nicht so anstellen. Langsam ging sie zur Reling hinüber und lehnte sich dagegen.
Es war eine sehr schöne Nacht. Der Mond schien und der Wind wehte genau aus der richtigen Richtung, so wie er es schon die ganze Reise getan hatte. Es waren zwar einige Wolken am Himmel, aber sie trübten die Aussicht kaum. In der Nähe des Schiffes kreischten wieder die Möwen und Laney sah automatisch in ihre Richtung. Wie schön wäre es doch, mit ihnen tauschen zu können. Einfach davonfliegen, ohne zurückzublicken. Laney seufzte und bekam dann ganz plötzlich eine Gänsehaut.
Sie brauchte sich nicht umzublicken, um zu wissen, dass Darrek sie anstarrte. Nur sein abschätzender Blick konnte bewirken, dass sich ihr alle Nackenhaare aufstellten. Langsam drehte sie sich um und schielte in seine Richtung. Während sie sich mit William, Annick und Alain in den letzten zehn Tagen angefreundet hatte und Liliana ihr zumindest immer wieder irgendwelche gehässigen Bemerkungen zuwarf, hatte Darrek weiterhin kein unnötiges Wort mit ihr gewechselt. Er redete zwar auch kaum mit den anderen, aber ihre Nähe schien er als besonders unangenehm zu empfinden und er mied sie wie die Pest. Laney hatte keine Ahnung, warum das so war und verstand erst recht nicht, warum er sie dann überhaupt mitgenommen hatte.
Er stand auf der anderen Seite des Schiffes, ebenfalls gegen die Reling gelehnt, und beobachtete sie aufmerksam. Sie wusste zwar nicht warum, aber es machte sie nervös, wenn er sie so ansah.
Von einem plötzlichen Impuls gepackt, ging sie zu ihm hinüber. Sofort wandte er den Blick ab und schien sich unheimlich für die Möwen zu interessieren, die Laney gerade noch beobachtet hatte.
„Schönes Wetter diese Nacht, oder?“, sagte Laney so locker wie möglich.
Es war eine sternenklare Nacht und Laney konnte sich nicht daran erinnern, jemals so viele Sterne gesehen zu haben. Doch Darrek drehte ihr nicht einmal das Gesicht zu.
Laney biss sich auf die Lippe. Es war nicht weiter verwunderlich, dass er keine Lust dazu hatte, sich mit ihr über das Wetter zu unterhalten. Eigentlich interessierte sie das auch nicht. Sie hatte nur einen Vorwand gesucht, ein Gespräch anzufangen. Denn obwohl sie seine kalte und herzlose Art verabscheute, fühlte sie sich unweigerlich von ihm angezogen. Es gab etwas an ihm, das ihr bekannt vorkam. Sie hatte ihn schon einmal gesehen und musste unbedingt herausfinden wo.
„William ist wirklich ein guter Lehrer“, versuchte Laney es mit einem anderen Thema. „Ich habe das Gefühl, meine Muskeln werden nie wieder aufhören zu schmerzen.“
„Laney“, sagte Darrek gerade so laut, dass nur sie es hören konnte, und Laney bekam sofort eine Gänsehaut. Es gefiel ihr nicht, dass Darrek ihren richtigen Namen benutzte. Es gab ihr das Gefühl, angreifbar zu sein und ihre Zukunft nicht beeinflussen zu können. William hatte ihr zwar gesagt, dass Darrek über ihre Identität Bescheid wusste, aber sie hätte nicht erwartet, dass er das auch offen zugeben würde.
„Wenn du Smalltalk halten willst, dann solltest du dich besser auch weiterhin an William halten“, setzte Darrek hinzu. „Ich rede nicht gerne nur zum Vergnügen und ich habe keinerlei Interesse daran, dich näher kennen zu lernen. Nur weil du zur Familie gehörst, bedeutet das noch lange nicht, dass wir auch Freunde werden können.“
Völlig perplex starrte Laney ihn an. Sie hatte zwar schon gewusst, dass er grob und ungehobelt war, aber eine solche Abfuhr hatte sie nicht erwartet. Sie spürte, wie ihr Gesicht rot anlief, und wollte etwas sagen, um sich zu verteidigen. Doch als ihr nichts einfiel, beherzigte sie seinen Rat und ließ ihn alleine zurück, um nach William zu suchen. Sie wusste schon gar nicht mehr, warum sie überhaupt mit Darrek hatte reden wollen. Das war definitiv eine der hirnrissigsten Ideen gewesen, die sie in letzter Zeit gehabt hatte.
„Du solltest meine Tochter nicht so herablassend behandeln“, sagte Kara mit leichtem Tadel in der Stimme.
Wie gewohnt saß sie im Schlafzimmer und verhielt sich alles andere als tot. Sie trug ein weites, rosafarbenes Kleid und hatte ihr Haar zu einem dicken Zopf gebunden.
„Auch dir einen schönen guten Abend, Kara“, gab Darrek zurück. „Ich dachte schon, du besuchst mich gar nicht
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