Familienpackung
aber erweichen. »Nur du kannst mich retten, Giovanni«, schleime ich mich bei dem Italiener ein. Er ist, wie die meisten Menschen, sehr empfänglich für Schmeicheleien. »Weil bist du«, sagt er, stöhnt zwei-, dreimal und verspricht mir dann, was Feines zu zaubern. Uff. Nachtisch werde ich selbst machen. Spart Geld und ist gut fürs Image. Nächste Station – der Getränkehändler. Er macht einen klitzekleinen S-Bahn-Witz, will aber Bier, Wein und Wasser übermorgen liefern. »Sie sind ja jetzt fast so was wie ein Promi hier«, lacht er zum Abschied. Tolle Prominenz. Wahrscheinlich wird noch bei meiner Grabrede jemand vom Schwarzfahren sprechen.
Wir sollten auswandern. Nicht nur wegen der ärgerlichen kleinen S-Bahn-Geschichte, sondern einfach so. Um
Schwung in unser Dasein zu bringen. Ich sitze im Auto und telefoniere mit Christoph. Um ihn daran zu erinnern, dass er rechtzeitig aus dem Büro kommt, um auf seinen Sohn Pustel-Mark aufzupassen. Wegen des Elternabends. Er klingt nicht begeistert. Ich schlage vor, er könne ja zum Elternabend gehen. Nein, er will lieber pünktlich sein. Was er generell davon hält, woanders zu leben, frage ich ihn. »Wie meinst du denn das, willst du schon wieder umziehen?«, fragt er entsetzt zurück. »Na ja«, sinniere ich laut, »wir könnten doch mal ein paar Jahre in Spanien leben oder in Australien.« »Kängurus züchten oder Sonnenschirme vermieten«, ist seine wohl witzig gemeinte Antwort. »Genau«, sage ich und wir beenden das Gespräch. Flexibilität – ein Fremdwort für Christoph. Man wird doch mit dem eigenen Mann mal ein wenig rumspinnen dürfen. Pustekuchen.
Ich muss wieder arbeiten gehen. Dann drehe ich nicht so ab. Ich will raus. Raus aus diesem Reihenhauskonglomerat. Ich rufe nochmal schnell bei Christoph an. »Ich glaube, ich will wieder arbeiten«, komme ich gleich zum Wesentlichen. »Ich will nicht, muss aber jetzt mal was arbeiten«, wird mein Arbeitsbegehren direkt abgewürgt. »Wenn ich heute so früh heimkommen muss, dann sollte ich jetzt mal einen Zahn zulegen.« Gut, dann reden wir eben später darüber.
Ich fahre heim. Immerhin, das Catering für die Überraschungsparty steht. Jetzt brauche ich einen Kaffee. Vielleicht hat eine der Nachbarinnen Zeit, ein kleines Schwätzchen wäre schön.
Bei Anita steht ein Streifenwagen vor der Tür. Polizei. Allerdings ohne Blaulicht. Ist sie auch straffällig geworden? Hat sich ein Beispiel an mir genommen? Oder, o Gott, doch
hoffentlich kein Unfall. Ich würde sehr gerne klingeln, traue mich aber nicht. Was, wenn ihr Friedhelm von einem wahnsinnigen Schüler niedergemetzelt wurde und die Polizisten ihr gerade die traurige Nachricht überbringen? Die Arme. Tamara, von schräg gegenüber, lehnt wie zufällig am Zaun und fummelt in ihren Buchsbäumen rum. »Weißt du, was da los ist?«, frage ich aufgeregt. »Irgendwas mit Sprengstoff«, sagt sie, sichtlich froh, jemanden zu haben, dem man den neusten Klatsch mitteilen kann. »Ne Bombe, und du stehst hier so ruhig?« »Die werden uns schon evakuieren, wenn’s was Ernstes ist, und du kennst doch Anita, die übertreibt schon mal gerne. Außerdem kommen doch dann diese Männer, die den Sprengstoff entschärfen.« Tamara guckt so viel Fernsehen, die weiß, wovon sie redet. »Sollen wir mal klingeln?« frage ich Tamara. Zu zweit würde ich mich trauen. »Bist du irre«, schaut sie mich aufgebracht an. »Eine Klingel kann einen Zünder auslösen.« Ich glaube langsam, ich sollte meinen Sohn in Sicherheit bringen. Der, wenn das so weitergeht, bald wie ein lebender Streuselkuchen aussieht.
»Was hat denn der kleine Mark?«, redet Tamara über meinen Sohn, gerade so, als würde er gar nicht hier bei uns stehen. »Keine Ahnung, eine Allergie, Masern, Windpocken, Röteln oder Früh-Akne«, ist meine Antwort. »Oder Hochbegabtenausschlag«, füge ich noch hinzu. Grinsend. Tamara ist beeindruckt. »Ist Mark auch hoch begabt?«, will sie gleich wissen. Ihr Sohn Emil ist nämlich dermaßen begabt, dass er manchmal gar nicht weiß, wohin mit seiner Begabung. Er haut. Wegen der Begabung, meint Tamara. Eine Übersprungshandlung sozusagen. Ich finde ihn einfach latent aggressiv – aber seit wann verstehe ich was von
Hochbegabung? »Heute Mittag gehe ich mit ihm zum Kinderarzt, dann sehen wir weiter«, beende ich das Thema.
Da öffnet sich Anitas Haustür. Zwei Uniformierte kommen raus. Dahinter Anita höchstpersönlich. Sie sieht, jedenfalls aus der Entfernung, nicht
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