Fantasien der Nacht
Augen.
Was, zum Teufel, war ihnen widerfahren? Eric ließ sich auf einen verfaulten schneebedeckten Baumstumpf außerhalb der Villa fallen, den Kopf stützte er in die Hände. „Ich hätte sie niemals alleinlassen dürfen“, flüsterte er der Nacht zu. „Lieber Himmel, ich hätte sie niemals alleinlassen dürfen …“
Seiner aufschreienden Seele trotzend, blieb er dort sitzen, bis der Himmel im Osten sich schließlich aufzuhellen begann. Sie war jetzt der Überzeugung, er hätte sie nur benutzt, um St. Claire eins auszuwischen. Ganz offensichtlich besaß sie weder eine konkrete Erinnerung an ihn, noch war sie sich über die Beziehung zwischen ihnen im Klaren.
Sie rief ihn, während sie in den Fängen ihres Unterbewusstseins weilte – im Traum. Sie konnte sich nicht einmal seines Namens entsinnen.
Tamara hielt vor der Tür zu Daniels Büro inne, um sich zu sammeln, ihre Hand lag auf dem Knauf. Vergangene Nacht war sie jeglicher weiterer Konfrontation mit Curtis aus dem Weg gegangen, indem sie ihre vermeintliche Erschöpfung vorschob – eine Lüge, die er ihr abgenommen hatte, weil er wusste, wie wenig Schlaf sie in letzter Zeit fand.
Heute Morgen war sie eigens in ihrem Zimmer geblieben und hatte vorgegeben zu schlafen, als Daniel sie vom Flur aus rief. Sie wusste, dass er sie nicht wecken würde, wenn er dachte, dass sie endlich schlief. Sie wartete, bis er zum DPI-Hauptquartier in White Plains aufgebrochen war, ehe sie sich zurechtgemacht hatte und mit ihrem arg mitgenommenen VW-Käfer losgefahren war.
Ihr Tag war vollgepackt gewesen mit der banalen Arbeit, die sie ihr dort gaben. Ihre erbärmliche Sicherheitsfreigabe war nicht hoch genug, als dass es ihr erlaubt gewesen wäre, sich mit irgendetwas Wichtigem zu beschäftigen. Mit Ausnahme von Jamey Bryant. Er war wichtig – für sie zumindest. In den Augen vom DPI war er lediglich ein Klasse-drei-Hellseher, doch in ihren gehörte er zur ersten Garde. Abgesehen davon liebte sie das Kind.
Sie seufzte und lächelte bei dem Gedanken an ihn; dann versteifte sich ihr Rücken, als sie an die bevorstehende Begegnung dachte. Sie packte den Türknauf noch fester und hielt dann inne, als sie Curtis’ Stimme hörte.
„Sieh sie dir an! Ich sage dir, irgendetwas geht hier vor, und du bist ein Idiot, wenn du es nicht erkennst!“
„Sie ist verwirrt“, sagte Daniel; er klang bekümmert. „Ich gebe zu, dass die Nähe unerwartete Auswirkungen auf sie hat, aber dafür kann man sie nicht verantwortlich machen. Sie ist sich nicht darüber im Klaren, was mit ihr geschieht.“
„Das denkst du. Ich hingegen denke, dass sie unter ständiger Beobachtung stehen sollte.“
"Ihre Wut wuchs sprunghaft, und Tamara stieß die Tür auf. „Könnt ihr euch vorstellen, wie leid ich es bin, dass ihr über mich sprecht, als wäre ich einer eurer Fälle?“
Beide Männer schauten überrascht auf. Sie tauschten beunruhigte Blicke, ehe Daniel so rasch von seinem Stuhl aufstand, dass die Beine über den Fliesenboden kratzten. „Nun, Tam, wie kommst du darauf, dass wir über dich gesprochen haben? Wir haben uns tatsächlich über einen Fall unterhalten. Einen, bei dem wir offensichtlich unterschiedlicher Ansicht sind.“
Sie lächelte zynisch und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ach, wirklich? Um welchen Fall geht’s denn?“
„Entschuldige, Tammy“, murmelte Curtis. „Aber deine Sicherheitsfreigabe ist nicht hoch genug.“
„Wann war sie jemals hoch genug?“
„Bitte, Tam.“ Daniel kam zu ihr herüber, umarmte sie sanft und küsste sie auf die Wange. Dann trat er zurück und sah ihr ins Gesicht. „Bist du in Ordnung?“
„Warum, um Himmels willen, sollte ich das nicht sein?“ Seine Besorgnis ließ ihren Zorn ein wenig abklingen, doch das änderte nichts daran, dass sie von seinem Verhätscheln die Nase gestrichen voll hatte.
„Curtis sagte, dass du letzte Nacht Marquand getroffen hast.“ Er schüttelte den Kopf. „Ich will, dass du mir alles erzählst, was passiert ist. Alles, was er gesagt und getan hat. Hat …“ Allein die Vorstellung daran ließ Daniel erbleichen. „Hat er dich berührt?“
„Er hat sie festgehalten, als würde er sie nie wieder loslassen“, explodierte Curtis. „Daniel, ich sagte dir …“
„Ich möchte, dass sie es mir erzählt.“ Die hellblauen Augen ihres Vormunds suchten erneut den Blickkontakt mit ihr. Sein Blick fiel auf den Kragen ihres türkisfarbenen Rollkragenpullovers und ihr weites weißes Sweatshirt. Auf
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