Farben der Schuld
trinken. Wahrscheinlich ist sie längst abhängig vom Alkohol.
Wieder stöhnt Beatrice auf, scheint im Schlaf nach etwas zu schlagen. Ruth kniet sich neben sie, greift nach ihr.
»Bea, du träumst schlecht. Wach auf!«
Es gelingt ihr nicht, ihre Tochter zu wecken, doch immerhin scheint ihre Anwesenheit Bea zu beruhigen. Sie rollt sich auf die Seite, näher zu Ruth. Vorsichtig hält Ruth ihre Hand, hört, wie ihr Atem allmählich gleichmäßiger wird, lauscht dem Rascheln der Heuschreckenleiber und dem Zischen der Heizung. Weiß wie ein Geist kauert das Chamäleon auf seinem Schlafast, schimmernd im Licht, das vom Flur hereinfällt. Was soll sie tun, wenn ihre Tochter ihr vollends entgleitet und Röttgen sie aus der Telefonseelsorge verstößt? Das wird Hartmut Warnholz nicht zulassen, versucht sie sich zu beruhigen, er schätzt mich doch, er weiß, was ich leiste und wie loyal ich bin. Und niemand ist so oft bereit, eine Nachtschicht zu übernehmen, wie ich.
Und wenn sie sich seine Zuneigung nur einbildet? Vielleicht war es ja doch ein Fehler, ihm so viel von ihrem Privatleben zu offenbaren? Und ob ich auch wandern muss in finsterer Schlucht … Auf einmal fällt ihr der Psalm wieder ein, den sie am Telefon zitierte. Ruth wiederholt ihn flüsternd, Satz um Satz. Für sich selbst, für ihre Tochter, für ihr Leben. Aber anders als sonst hilft ihr das nicht, gibt ihr keine Kraft und keinen Trost. Warum lässt Gott das zu?
Ich fürchte mich, wird ihr auf einmal klar. Ich fürchte mich, aber ich weiß nicht, wovor.
***
Es ist längst dunkel draußen, als sie zu akzeptieren beginnen, dass das, was Manni am Morgen für eine richtig gute Idee gehalten hatte, jedenfalls nicht mehr an diesem Tag zu einem Durchbruch führen wird. Manni wirft ein weiteres Fisherman's ein, spuckt es dann gleich wieder in den Papierkorb. Zu viel von dem Zeug ist auch nicht gut. Kollege Meuser nippt an seiner Cola, starrt mit glasigen Augen an Manni vorbei ins Leere. Direkt nach Kühns Presseshow haben sie einen Besprechungsraum des KK11 geentert, nur wenig später traf der Wolkenburg-Fotograf ein, übergab ihnen mehrere CDs, um sodann einen Fundus von über 800 Papierabzügen auf den Resopaltischen auszubreiten. Nach und nach haben sie die Fotos mit Hilfe der Seriennummern in Reihe gelegt, um den Ablauf des Ärzteballs nachzuvollziehen. Bingo!, hat Manni gesagt, als sie den ersten Ritter entdeckten. Und dann noch zwei weitere, sowie mehrere Fotos von dem falschen Priester Jens Weiß. Auch seine Kollegen aus dem Krankenhaus, die laut Gästeliste den Ball besucht hatten, konnte Meuser relativ schnell identifizieren.
Doch damit begannen die Probleme schon: Keiner der Ritter und auch keiner von Weiß' Kollegen wurde in seiner Nähe fotografiert. Mal ganz davon abgesehen, dass ihnen ohnehin zu fast allen Personen auf den Fotos die Namen fehlten und noch immer fehlen. Früher habe er immer am Eingang des Festsaals eine Fotowand mit Sofortabzügen aufgestellt und seine Assistentin habe dort Bestellungen entgegengenommen, erklärte der Fotograf. Heutzutage wünschten die Veranstalter jedoch meist ein Internet-Fotoalbum, in das die Besucher des Balls sich einloggen und Abzüge online bestellen könnten. Nach und nach erhalte man so die Namen zu vielen der Personen auf den Fotos.
Nach und nach. Oder auch nie. Manni starrt auf die Fotos. Ansprachen, Häppchen, Bierausschank, Live-Musik, Disco, Büffet. Schunkelnde Kostümierte. Kölsch trinkende Kostümierte. Sich umarmende Kostümierte. In die Kamera lachende Kostümierte. Sie hatten versucht, dem Fotografen noch ein paar Partydetails zu entlocken. Streits, Eklats, irgendwas. Aber nein, Fehlanzeige. Ein ganz normaler Ball sei das gewesen, doch als Fotograf achte er ohnehin mehr auf Bildausschnitte und Perspektiven als auf Personen. Und Jens Weiß? Der Fotograf hatte bedauernd die Schultern gezuckt. Ja, er habe einen Priester fotografiert. Mehr aber wisse er beim besten Willen nicht mehr.
Mannis Magen knurrt. Außer den belegten Brötchen hat er heute noch nichts gegessen, und nun ist es auch zu spät, weil er gleich noch ins Training fahren wird. Jens Weiß hatte auf dem letzten Ball seines Lebens keine Ansprache gehalten und nicht getanzt, wohl aber Kölsch getrunken und dem Büffet zugesprochen und sich angeregt unterhalten. Ein Clown und eine – weibliche – Tigerente befanden sich offenbar mit einer gewissen Regelmäßigkeit in seiner Nähe, wenn sie den Fotos denn glauben dürfen.
»Wer
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