Fast geschenkt
Hervorragend. Ich freue mich richtig drauf.
Ich stehe am Bordstein und will gerade ein Taxi heranwinken, als ich einen traumhaften Laden namens Kates Papeterie entdecke. Ganz unwillkürlich nehme ich die Hand wieder herunter und bewege mich langsam auf das Schaufenster zu. Jetzt sehen Sie sich das an. Marmoriertes Geschenkpapier! Eine Decoupage-Schachtel. Und mit Perlen besticktes Geschenkband!
Also gut, ich springe eben kurz rein und sehe mich ein bisschen um. Fünf Minuten. Höchstens. Und dann fahre ich zum Guggenheim.
Ich drücke die Tür auf und bummle gemütlich durch den Laden. Ich bestaune das mit getrockneten Blumen, Bast und Schleifen bezaubernd arrangierte Geschenkpapier, die Fotoalben, die Schachteln mit edlem Briefpapier... Und da! Da gibt es Grußkarten!
Sehen Sie, da haben Sie es. Darum ist New York so toll.
Hier gibt es nicht nur langweilige Karten, auf denen »Alles Gute zum Geburtstag« steht. Hier gibt es handgefertigte Kreationen mit Glitzerblumen und witzigen Collagen, auf denen »Herzlichen Glückwunsch zur Adoption von Zwillingen!« oder »Tut mir Leid, dass ihr euch getrennt habt!« steht.
Ich bin restlos fasziniert von dem Kartenangebot. Davon muss ich einfach ein paar haben. Zum Beispiel die mit dem Pop-Up-Schloss, an dessen Turm eine Fahne mit der Aufschrift »Euer Umbau gefällt mir!« weht. Ich kenne zwar niemanden, der zurzeit umbaut, aber ich kann die Karte ja aufheben, bis meine Mutter endlich den Flur neu tapeziert. Und dann diese hier mit dem künstlichen Gras drauf: »Für den nettesten Tennislehrer der Welt«. Nächsten Sommer möchte ich nämlich Tennisunterricht nehmen. Und da will ich mich natürlich mal bei meinem Trainer bedanken!
Ich schnappe mir noch ein paar mehr und gehe dann weiter zu dem Ständer mit Einladungen. Die sind ja noch besser! Da steht nicht einfach nur »Einladung« drauf, sondern zum Beispiel »Wir treffen uns zum Brunch im Club!« oder »Lust auf eine Pizzaparty?«
Ach, wissen Sie was, von denen kaufe ich auch noch ein paar. Das wäre ja kurzsichtig, das nicht zu tun. Ich meine, Suze und ich könnten doch jederzeit eine Pizzaparty geben! Und dann stehen wir doof da, weil wir in England keine passenden Einladungen finden. Die sind so süß, mit lauter kleinen, glitzernden Pizzastücken an der Seite! Ganz vorsichtig lege ich zehn Schachteln Einladungen zu den anderen Karten in meinen Korb. Dann nehme ich noch ein paar Bögen bunt gestreiftes Geschenkpapier mit, dem ich einfach nicht widerstehen kann, und gehe zur Kasse. Während die Verkäuferin alles einscannt, sehe ich mich noch einmal im Laden um und überlege, ob ich irgendetwas vergessen habe -doch als sie die Endsumme ausspricht, zucke ich erschrocken zusammen. So viel? Für die paar Karten?
Ich überlege kurz, ob ich sie wirklich alle brauche. Zum Beispiel die mit »Fröhliches Hanukkah-Fest, Chef!«.
Andererseits - eines Tages werde ich sie brauchen. Und wenn ich erst mal in New York wohne, werde ich mich ohnehin daran gewöhnen müssen, ständig sündhaft teure Karten zu verschicken. Mit anderen Worten, das hier dient wieder nur meiner Akklimatisierung.
Und überhaupt: Was hat man denn von einem schönen neuen Kreditkartenlimit, wenn man es gar nicht ausnutzt? Eben. Und in meinem Budget wird das alles unter »unvermeidbare Geschäftsausgaben« verbucht.
Als ich unterschreibe, bemerke ich hinter einem Ständer mit Visitenkarten eine junge Frau in Jeans und mit Hut, die mir merkwürdig bekannt vorkommt. Ich betrachte sie neugierig - und dann fällt es mir wieder ein.
»Hallo«, sage ich und lächle sie freundlich an. »Haben wir uns nicht neulich bei dem Sample Sale gesehen? Haben Sie was Schönes gefunden?«
Doch statt mir zu antworten, wendet sie sich blitzschnell ab und eilt aus dem Laden, wobei sie mit einer anderen Kundin zusammenstößt und »Tschuldigung« murmelt. Na, so was!? Die hat ja einen britischen Akzent! Also, das ist ja wohl der Gipfel der Unfreundlichkeit! Eine Landsmännin im Ausland derart zu ignorieren! Kein Wunder, dass alle Welt die Briten für stieselig hält.
So. Und jetzt zum Guggenheim Museum. Als ich Kates Papeterie verlasse, fällt mir auf, dass ich gar nicht weiß, in welche Richtung ich muss, und ich bleibe kurz stehen, um zu überlegen, wo wohl Norden ist. Da werde ich von einer Art Blitz geblendet, und ich verziehe das Gesicht und frage mich, ob wohl mit Regen zu rechnen ist. Aber der Himmel ist strahlend blau, und außer mir scheint niemand dieses
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