Faszination Menschenfresser
Verletzungen im Bereich von Rumpf, Armen oder Beinen. Die Beißattacken wurden in derRegel nur von einzelnen Fischen durchgeführt. Angriffe von mehreren Fischen zugleich kamen sehr selten vor. Die Opfer wurden nach dem Angriff auch nicht weiter verfolgt. Interessanterweise fanden übrigens nahezu alle Piranha-Attacken zur Trockenzeit und in Gewässern, diemehr oder weniger stark mit Fischabfällen oder Schlachtblut verunreinigt waren, statt. Es soll sogar angeblich in einer Siedlung der auf Hausbooten lebenden Fischer, der sogenannten Ribeirinhos, einen Todesfall gegeben haben, als ein Kleinkind ins Wasser fiel, dessen Mutter in der Nähe Fische ausnahm und dadurch zahlreiche durch das entstandene Blut herbeieilende Piranhas in einen regelrechten Fressrausch versetzte. Seine eigenen Erfahrungen mit Piranhas fasste Mol wie folgt zusammen: »Während der fünfzehn Jahre, in denenich in Surinam Freilanduntersuchungen durchgeführt habe und in denen ich oft stundenlang nicht nur durch piranha-verseuchtes Wasser gewatet bin, sondern auch in ihm gebadet habe, wurde ich kein einziges Mal von Piranhas gebissen.«
Auch Studien anderer Wissenschaftler kommen zu ähnlichen Ergebnissen. Zu den meisten Unfällen mit Piranhas kommt es übrigens meistens nicht im, sondern außerhalb des Wassers, wenn nämlich ein unvorsichtiger Angler versucht, einen der Fische, die in Südamerika als Delikatesse gelten, unsachgemäß vom Haken zu lösen. Da kann man durchaus schon mal eine Fingerkuppe an einen zappelnden Piranha verlieren. Nur wenig später wurde dann das Bild vonderblutrünstigen Bestie Piranha noch weiter demontiert. Ein schottisch-brasilianisches Forscherteam fand nämlich heraus, dass Piranhas nicht nur keine zähnefletschenden Killer, sondern sogar regelrechte Angsthasen sind – zumindest, wenn sie sich außerhalb ihres Schwarms aufhalten.
Die Wissenschaftler entdeckten bei Versuchen mit in Aquarien lebenden Piranhas, dass vom Schwarm isolierte Individuen nicht nur deutlich schneller atmeten als ihre Artgenossen, sondern auch in ihren Bewegungen immer unsicherer wurden. Der Schwarmforscher Hanno Hildebrandt von der Universität Groningen hat eine einleuchtende Erklärung, warum Piranhas, aber auch viele Tierarten, die in Schwärmen leben, Panik oder Stressreaktionen zeigen, wenn sie isoliert werden: »Ein Schwarm bietet einfach den Vorteil, dass durch ihn das sensorische System eines Räubers überfordert wird. Die Wahrscheinlichkeit, innerhalb eines Schwarms bei einer Räuberattacke erwischt zu werden, ist wesentlich geringer als außerhalb, besonders, wenn sich die Individuen sehr ähnlich sind.«
Die gefürchteten Piranhas bilden Schwärme also nicht etwa, wie lange angenommen, um sich gemeinsam auf die Jagd auf andere Tiere zu begeben, sondern um sich selbst vor Feinden, wie etwa Flussdelfinen, Kaimanen und den bis zu drei Meter langen Piracucu-Fischen zu schützen.
2009 versetzte dann der englische Biologe und Moderator Jeremy Wade in seiner bekannten TV -Show Rivermonster vor einem Millionenpublikum und zur besten Sendezeit dem Mythos, Piranhas seien blutgierige Menschenfresser, endgültig den Todesstoß: Wade badete – natürlich stets von der Kamera begleitet – nicht nur genüsslich in einem Fluss voller Piranhas, sondern nahm auch sehr telegen ein Bad in einem kleinen Pool, der vorher mit 100 ausgehungerten Exemplaren der kleinen Raubfische bestückt worden war, ohne auch nur den kleinsten Biss abzubekommen. Natürlich waren die Zuschauer im Laufe der Sendung gewarnt worden, dieses Experiment keinesfalls zu Hause zu wiederholen.
Die Geschichte vom blutrünstigen Piranha ist bis heute nicht totzukriegen. So wird immer noch gerne die Geschichte kolportiert, dass Rinderhirten in der Amazonasregion bei einer Flussüberquerung stets ein krankes oder schwächliches Tier den Piranhas opfern müssen, um die Raubfische vom Rest der Tiere abzulenken. Eine unsinnige Vorstellung, denn bei der Vielzahl von Gewässern in diesem Teil der Erde wäre diese Taktik – einen gehörigen Blutdurst der Raubfische immer vorausgesetzt – ja mangels Masse relativ rasch zum Scheitern verurteilt. Befragt man übrigens die Schüler eines Biologie-Leistungskurses nach dem »am meisten gefürchteten Fisch des Amazonas«, wird man mit 99,9 prozentiger Sicherheit nur eine einzige Antwort bekommen: Der Piranha! Wie erstaunt ist dann unsere künftige Elite, wenn man dann erzählt, dass die korrekte Antwort Candiru oder Stachelrochen lauten
Weitere Kostenlose Bücher