Feenring (German Edition)
andere Herren verteilen. In meine eigene Zuflucht möchte ich sie lieber nicht aufnehmen, obwohl das eigentlich üblich ist. Aber da du hier bist … kann ich dieses Risiko unmöglich eingehen.«
Wir saßen schweigend, überließen uns der den Raum beherrschenden drückenden Düsternis.
»Ich habe Kundschafter an den Strand geschickt, um die Lage zu erkunden. Ihr Bericht wird Mark nutzen, wenn er bei Einbruch der Dunkelheit mit seiner Planung beginnt.«
»Die Zeit wird nicht reichen.«
»Ein paar Wære könnten ihm helfen«, warf Johnny ein. »Wie viele, weiß ich noch nicht, aber bis zur Abenddämmerung müsste ich klarer sehen.«
Menessos deutete eine Verbeugung vor Johnny an. »Meinen Glückwunsch zu deinem Aufstieg, Domn Lup.«
Johnny nickte.
Dann wandte sich Menessos mir zu. »Was hältst du von Sturmhut & Absinth?«
»Mehr, als ich dachte.«
»Hat Beau dir klargemacht, wie wichtig die Seelenteilung ist?«
Ich nickte.
»Bist du damit einverstanden, Domn Lup?«
»Schon, nur … ich habe noch Fragen.«
Menessos neigte leicht den Kopf und gab damit zu erkennen, dass Johnny fortfahren sollte.
»Ich bin ein Anhänger des Ein-Körper-eine-Seele-Konzepts. Also sag mir ehrlich … « Er funkelte den Vampir offen an. »… wie wird sich unser bewusstes Selbst dadurch verändern?«
»Bist du dir deiner Seele in diesem Moment bewusst?«, fragte Menessos zurück.
»Ich bin mir meiner selbst bewusst.«
»Das ist Bewusstsein, ja, aber spürst du deine Seele?«
Johnny dachte nach. »Ich weiß nicht. Ich weiß nicht, wie es sich anfühlt, am Leben, aber ohne Seele zu sein.«
»Wenn du seelenlos wärst, wärst du ein Zombie«, sagte Menessos geradeheraus. »Viele halten Vampire für unbeseelt, aber ich widerspreche dem. Deshalb faulen wir auch nicht, wie Zombies es tun. Ich sage, die Seele verlässt den Vampir bei Morgengrauen, bleibt dabei aber mit ihm verbunden, sodass sie, sobald es Nacht wird, zurückkehren und ihm sein Bewusstsein wiedergeben kann.«
»Wie bei einer Astralreise?«, fragte ich.
»So ähnlich. Allerdings hat die Seele dabei eine Art Traumbewusstsein. Die Seele des Vampirs ist einfach untätig.«
»Wie würde deinesgleichen diese Erfahrung beschreiben«, hakte Johnny nach, »während die Seele untätig und abwesend ist?«
Menessos’ Kopf ruckte zu mir herum.
Johnnys Worte unterstellten, dass Menessos selbst nichts darüber wusste. »Ich habe ihm verraten, dass du lebst.« Dann verteidigte ich meine Verhaltensweise: »Keiner sollte dieses Ritual durchmachen, ohne die Wahrheit zu kennen.«
Johnny schnaubte. »Mir hat sie zuerst Geheimhaltung geschworen.«
Menessos war verblüfft, aber so war’s nun mal. Hoffentlich sah er wenigstens ein, dass ich folgerichtig gehandelt hatte.
»Sie sagen, sie würden für eine Sekunde nicht existieren«, entgegnete er. »Vampire sterben und wachen im nächsten Augenblick wieder auf, in dem Wissen, dass inzwischen Stunden vergangen sind, aber ohne wirklich ein Gefühl dafür zu haben. So entsteht die Illusion eines durchgängig gelebten Lebens.«
»Wie funktioniert die Seelenteilung?«
»Ich habe das auch noch nie zuvor erlebt«, entgegnete Menessos gereizt, stand auf und begann, auf und ab zu gehen.
»Wenn ich raten sollte … « Johnny kam ebenfalls auf die Beine. »… würde ich sagen, dass Übersinnliches, wie Telepathie, dem, was wir vorhaben, am Nächsten kommt, bloß dass das, was wir machen, dauerhafter ist.«
Menessos strich nachdenklich über sein Kinn.
»Aber«, fuhr Johnny fort, »ich will keinen von euch in meinem Kopf haben.«
Mir kam ein Gedanke. »Dieses Ritual steht im Kodex, nicht wahr? Hast du es nicht schon mit Una und Ninurta durchgeführt?«
»Mit Una nicht.«
»Wieso nicht?«
»Sie hatte Angst vor den Folgen. Sie meinte, Seelen seien das Handwerk der Götter, und wenn wir damit herumspielten und unsere Essenz aufteilten, würden wir alle sterben.«
Vorsichtig fragte ich: »Was denkst du?«
Meine Frage stand unbeantwortet im Raum. Dann verschwand Menessos in dem dunklen Höllenschlund. Eine Minute später kehrte er mit dem Trivium-Kodex zurück und übergab ihn mir. »An der richtigen Stelle ist ein silbernes Lesebändchen eingelegt. Wenn ihr das Ritual, nachdem ihr euch schlaugemacht habt, immer noch durchführen wollt, kommt eine Stunde vor Sonnenuntergang wieder her.«
Ich flehte ihn wortlos an zu antworten.
Er fuhr mir über die Wange. »Ich glaube, die Göttin zieht dich allen anderen vor.« Wieder verschwand
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