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Feenring (German Edition)

Feenring (German Edition)

Titel: Feenring (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Robertson
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mächtigen Leib schlackerte, mit dessen blauem und orangefarbenem Ananas- und Wellenreitermuster er sich jedoch keinen Gefallen tat. Die gelbbraune Hose war über dem Knie ungleichmäßig abgeschnitten. Allem Anschein nach war es bereits sehr lange her, dass seine Socken und Turnschuhe neu gewesen waren. Schwer zu sagen, welche Farben sie einmal gehabt hatten; nun trugen beide ein trostloses Grau zur Schau, und das schon seit langer Zeit. »He, Hector.«
    Der Gigant blieb lange genug ruhig und stumm, dass ich mich fragen konnte, ob er wohl ein Wrestler war und wie er verdammt noch mal aus dem Gebäude hinauskam. Kaum zu glauben, dass er durch den Treppenschacht passte.
    »Johnny Newman.«
    Nun war ich doppelt überrascht: Erstens sprach er sehr leise, und zweitens schienen nur sehr wenige Leute Johnnys Nachnamen zu kennen.
    »Empfängt Ig heute Besucher?«
    »Ich frage mal.«
    Der Mann ging durch den dunklen, hohen Raum; dank seiner Größe wirkten seine Bewegungen unbeholfen und überzogen zugleich. Er öffnete eine Schiebetür und verschwand dahinter. Ich wandte mich an Johnny und wisperte: »Ig?«
    »Ignatius Tierney«, zischte er zurück. »Der Dirija, der hiesige Aufseher der Wære.«
    Das bizarre Wort rief mir ins Gedächtnis, wie Johnny mich in einige Mysterien seiner Artgenossen eingeweiht hatte. Außerdem erinnerte ich mich, dass er seine willkürlichen Wandlungen vor diesen Leuten verheimlichen wollte. Eine Fähigkeit, die mit Sicherheit die Krönung zum Domn Lup – zum Wolfskönig – nach sich ziehen würde, und er hatte es nicht eilig, sich die damit einhergehende Verantwortung aufzubürden. Ich hatte den Ältesten ja auch nicht auf die Nase binden wollen, dass ich die Lustrata war. Wir waren beide nicht dumm und wussten, dass die Beanspruchung einer solchen Position nicht nur Macht verhieß, sondern auch eine Unzahl von Pflichten.
    Man nannte das Schicksal ja Schicksal, weil man ihm nicht entgehen konnte.
    Waren wir deshalb hier?
    Johnny wurde unruhig. Ich für meinen Teil atmete die Aromen ringsum tief ein und machte mir ein Bild: Holz, aber kein Zedernholz. Eher Wachholder, vielleicht Zypresse und noch etwas anderes … entweder ein schwerer Wein – was mich in Anbetracht der Bar unten nicht überrascht hätte – oder Ambra.
    Hector erschien wieder und winkte uns. Ich folgte Johnny und schloss die Tür hinter uns. Die Bodenbretter zitterten nur schwach. Die Jalousien waren geschlossen, sodass alles im Dunkeln lag.
    Johnny blieb unter der Tür stehen.
    »Du kreuzt auch nie an einem guten Tag auf, wie?« Die Worte kamen lallend und zäh.
    Ich linste um Johnnys Schulter und sah einen Mann, der in einem Krankenhausbett saß. Ig hatte Hängebacken, na ja, jedenfalls eine Hängebacke. Offenbar hatte ihn der Schlag getroffen.
    »Wann?«, fragte Johnny.
    Ig würgte Speichel hoch. Ich nahm an, es sollte wohl ein Lachen sein. »Vor zwei Tagen.« Er wartete, dann sagte er: »Hector.« Die Aussprache des Namens förderte große Mengen Schleims zutage. »Sag’s ihnen.«
    »Er hat ein Blutgerinnungsproblem.«
    Johnnys Frage kam sofort. »Aber bei Vollmond wird alles wieder gut?«
    Hector fiel die Kinnlade herunter.
    »Nein«, sagte Ig.
    Ich wusste in dem Augenblick, als Johnny mich ansah, was er dachte: Mit einer Wandlung könnte man ihn gesund machen. Auch wenn es bis zum Vollmond noch fünfundzwanzig Tage dauerte, waren wir nicht zum ersten Mal mit dieser Sachlage konfrontiert.
    »Sag ihnen alles«, forderte der Dirija.
    »Es passiert dauernd. Dann behandeln sie ihn mit GPA , und er kommt so weit wieder auf die Beine. Aber besser als so wird’s nicht, und mit jedem Mondumlauf kommt es früher.«
    »Wir hatten erst vor vier Tagen Vollmond«, warf ich ein.
    Ig nickte. »Ein’tlich müsste ich tot sein.«
    Ich hatte Ig auf fünfundvierzig geschätzt. Sein Gesicht war mit Sommersprossen übersät, und sein helles, rotblondes Haar wurde eben erst dünner. Seine mit zum irischen Haarschopf passenden Wimpern ausgestatteten Augen wirkten riesig. Abgesehen von dem erschlafften Lid und dem inaktiven Mundwinkel schien er ein Mann in den besten Jahren zu sein. Er klopfte aufs Bett. »Setz dich, Johnny.«
    Johnny durchquerte den Raum, und Ig entdeckte mich erstmals. »Wer ist die Frau?«
    »Das ist Red.« Johnny setzte sich auf die Bettkante.
    Ig nickte mir in meine Richtung schnüffelnd zu. Da sah ich unter seinem nur halb zugeknöpften Pyjamaoberteil eine lange, silbrige Halskette, wahrscheinlich aus Platin oder

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