Feinde kann man sich nicht aussuchen
seiner
Parkbox abgestellt hatte. Ich inspizierte die Kerbe in dem Stützpfeiler, die er
mir zeigte. Ja, sie konnte von einer Kugel stammen. Aber von der Höhe her
konnte es ebensogut ein Auto gewesen sein.
Ich fragte mich, ob Suits wohl viele
von diesen Fernseh-Dutzendkrimis gesehen hatte, in denen immer Schießereien in
Tiefgaragen vorkamen.
»Wieso hat der Wachmann nicht
reagiert?« fragte ich.
»Er war nicht da, als ich reinfuhr. Und
es war ja nur ein leises Plopp — vermutlich hat der Schütze einen Schalldämpfer
benutzt.«
Doch Fernsehkrimi.
»Hast du die Polizei gerufen?«
Er nickte.
»Haben sie die Kugel gefunden?«
»...Nein.«
»Was tun sie?«
»Sie ermitteln.« Er hatte jetzt einen
verdrossenen Zug um den Mund.
»Wenn du den Namen des zuständigen
Beamten weißt, kann ich mich nach dem Stand der Ermittlungen erkundigen.«
»Ich habe seine Karte irgendwo oben.«
Suits strebte dem Aufzug zu, aber ich hielt ihn zurück.
»Du hast Russ Zola und Carole Lattimer
gegenüber den Ausdruck ›Killer‹ benutzt. Denkst du, jemand wurde auf dich
angesetzt?«
Er guckte auf den Betonboden und
scharrte irgend etwas mit der Schuhspitze beiseite.
»Wenn du das denkst«, fuhr ich fort,
»kann ich dich beruhigen. Ein Profi hätte nicht solchen Murks gemacht. Er wäre
in die Stadt gekommen, hätte zugeschlagen und wäre längst wieder weg. Und in
dem unwahrscheinlichen Fall, daß es beim ersten Mal nicht geklappt hätte, wäre
er beim nächsten Mal nicht zu einer anderen Methode übergegangen. So arbeiten
Profis nicht.«
Suits murmelte etwas in Richtung
Fußboden.
»Was?«
»Ich weiß, wie Profis arbeiten. Ich
habe mich damit abgefunden, daß derjenige, der mich umbringen will, einen
persönlichen Grund dafür hat. Daß es vielleicht sogar jemand aus meiner
nächsten Umgebung ist.«
Ich fuhr mit dem Daumen über die Kerbe
im Pfeiler und versuchte, meine nächste Frage taktvoll zu formulieren. »Suits,
du hast das ganze letzte Jahr ziemlich hart gearbeitet. Russ Zola sagt, er hat
noch nichts davon gemerkt, daß du je schläfst — und das war nur halb als Scherz
gemeint. Du nimmst doch kein Kokain oder —«
»Du glaubst mir nicht.« Es klang nicht
ärgerlich, nur niedergeschlagen.
»Das habe ich nicht gesagt.«
»Das war auch nicht nötig.«
»Suits...«
Er drehte sich um und ging auf den
Aufzug zu. »Ich nehme weder Koks noch sonst etwas«, sagte er müde. »Drogen sind
eine Achterbahn, die das Geld für das Ticket nicht lohnt. Ich bilde mir diese
Anschläge nicht ein. Soviel Phantasie habe ich gar nicht, außer in meinem Job.
Ich bin nicht paranoid. Paranoiker haben keine kritische Selbstwahrnehmung,
aber ich habe sie — in schmerzlichem Maß.« Er hob die Hand zum Aufzugknopf,
ließ dann aber den Arm wieder sinken.
Als er mich ansah, waren seine Lippen
zu einem selbstironischen Lächeln verzogen. »Du denkst, ich weiß nicht, wer und
was ich bin? Dann paß mal auf: Dieser Stuß, den ich dir heute morgen
aufgetischt habe — daß ich mich damals, nach unserem Drogen-Flip, aus der Stadt
verdrückt habe, weil ich nicht bereit war, mich zu binden? Hey, weißt du, warum
ich in Wirklichkeit abgehauen bin?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Ich bin abgehauen, weil ich wußte, ich
war ein mickriger, komisch aussehender Typ mit einer mediokren Persönlichkeit,
der gerade einen Mordsdusel gehabt hatte. Du warst die hübscheste, netteste,
gescheiteste Frau, mit der ich je im Bett gewesen war, und ich wußte, du
würdest dafür sorgen, daß das nie wieder passiert. Und ich wußte auch, wenn ich
in der Stadt blieb, würde ich dich einfach nicht in Frieden lassen können. Das
wäre für uns beide beschissen gewesen. Ich wollte uns das schlicht und einfach
ersparen.«
»Oh, Suits —«
»Nein.« Er hob die Hand. »Spar dir
irgendwelche nachträglichen Nettigkeiten. Ich brauche sie nicht, und ich will
sie nicht. Was ich brauche und will —« Er sah wieder zu Boden. Ein Schauer
durchlief seine schmale Gestalt, während er die durchgegangenen Emotionen
wieder zu zügeln versuchte.
»Was ich brauche und will«, fuhr er
nach einem kurzen Moment fort, »ist deine Hilfe.« Er hob den Kopf und sah mich
an; seine Augen flackerten vor mühsam unterdrückter Angst; bizarre kleine
Lichtpünktchen glommen tief in ihrem Inneren.
Ich trat auf ihn zu und nahm seine
Hand; sie war eisig. Ich musterte sein Gesicht genauer, um mich zu
vergewissern, daß er mir nichts vormachte. Seine Haut war aschfahl und so
gespannt, daß sie
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