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Feindesland

Feindesland

Titel: Feindesland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Uschmann
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Wohnungsmieter schaut sich meine Aktion nur aus dem Augenwinkel an und konzentriert sich weiter auf seinen kleinen Bruder in Hartmuts Würgegriff. »Hast du wieder mit dem Luftgewehr herumgeschossen?« Er erhöht seinen Druck auf den Kiefer des Jungen. Hartmut lässt dafür den Würgegriff etwas lockerer.
    Der Junge röchelt: »Ja, hab ich!«
    Sein Bruder rüttelt seinen Kopf in seiner Klaue hin und her. »Wie oft hab ich dir gesagt, du sollst das lassen? Hä?«
    Der kleine Bruder jammert. Ich freue mich. Er sticht uns nicht nieder, sondern er erzieht seinen kleinen Bruder. Gut, er erzieht ihn rauer, als man es gewohnt ist, wenn die Eltern Janis Joplin hören, aber er erzieht ihn. »Das passiert nie mehr, hörst du? Ehre, Mann, Ehre!«, sagt der große Bruder und rüttelt noch einmal nach, so dass der Kiefer knackt. Bei Call Of Duty explodiert ein Haus, dann brennt knisternd das Feuer. Wir lassen beide Jungen los.
    »Sorry«, sagt der große Bruder, »sie sind manchmal so. Ist nicht korrekt.« Wir nicken, der Ärger verraucht. Der junge Mann reicht uns die Hand. »Cevat«, sagt er. »Das ist mein kleiner Bruder Avri. Das ist Faruk, sein Homie.«
    Ich frage: »Der Faruk?«
    Cevat runzelt die Stirn. »Wie meinst du das, der Faruk?« Ich sage: »Na ja, der hier angeblich alles in der Hand hat. Der Falafel-Faruk.«
    Cevat geht in die Küche, setzt Wasser auf, fragt, ob wir einen Tee wollen, und sagt: »Haben die Russen mit euch geredet?« »Ja.«
    »Wir sind Türken. Die meinen den Kurden Faruk. Presst seinen eigenen Leuten die Kohle ab, für den Befreiungskampf der PKK. Ha! Das Einzige, was der befreit, ist sich selbst von Geldsorgen.«
    Hartmut lässt sich auf die Couch fallen. Die Jungs halten noch Abstand von ihm und räumen das Gewehr weg. Cevat kramt in einem Schrank, kommt wieder aus der Küche und wirft Hartmut eine Tube zu. »Vitamin E. Schmier das auf deinen blauen Fleck.«
    Hartmut schmiert und fragt dabei: »Geht es denn hier wirklich so zu? Ich kann das alles nicht glauben.«
    »Glaub es lieber, Alter.« Cevat rappt eine Zeile aus einem Song nach und lacht dabei: »Kommt nach Wedding, dann wisst ihr, wo das Ghetto liegt.« Er gießt den Tee auf.
    »Wenn das so ist, warum wohnt ihr dann hier?«, fragt Hartmut. »Ihr seht mir nicht kriminell aus. Gut, dein kleiner Bruder schießt auf Nachbarn, aber ...«
    Der kleine Bruder winkt ab, als wolle er sagen, man müsse nicht jahrelang auf einer Jugendsünde herumhacken.
    Cevat serviert den Tee. »Warum wohnt ihr hier mit euren schönen Frauen?«
    Wir pusten und trinken. »Geldmangel. Zufall. Auf der Karte sahs gut aus.«
    »Na, seht ihr. Unsere Eltern sind leider verstorben. Wir kriegen diese Wohnung bezahlt, ich kümmere mich jetzt um Avri. Ich mach eine Ausbildung, Kfz. Es langt gerade so hin. Wir können uns nicht leisten, in Charlottenburg zu wohnen.«
    Ich sage, als müsste ich es tun, um mich zu solidarisieren: »Wir sind auch so gut wie pleite. Haben den Staat am Arsch, Schulden. Können froh sein, dass wir nicht in den Knast gegangen sind.« Warum sage ich das? Warum glaube ich, Cevat gegenüber von Knast reden zu müssen?
    Er lacht trocken. »Ich mache auch hin und wieder Scheiße. Verticke Zeug, von dem ich nicht genau weiß, wo es herkommt.« Hartmut macht große Augen. Cevat nimmt die Arme hoch: »Nicht, was ihr jetzt denkt.« Er klopft auf den Fernseher, der immer noch Call Of Duty: World At War zeigt. »Hier, so was. Konsolen, Spiele, Handys. Was soll ich machen? Ich muss die Zusatzkosten decken.« Er spricht das Wort »Zusatzkosten« ein wenig merkwürdig aus.
    »Was meinst du damit?«, fragt Hartmut.
    Cevat schaut über seine Regale, seine Couch und seinen Balkon, als vergewissere er sich, dass keine Wanzen montiert sind: »Die Kohle für die Russen.«
    Mir fällt fast der Tee aus der Hand. Das warme Glas klappert auf der Untertasse. »Bitte?«
    »Ja, was sollen wir machen? Wie viel zahlt ihr denn?«
    »Wie viel wir zahlen?«, fragt Hartmut und springt auf. Immer, wenn er sich aufregt, muss er auf Teppichen auf und ab laufen. »Wie viel wir zahlen?.«
    »Ja?«
    »Was ist denn das für eine Frage? Ist das ein Film hier, oder was? Das kann doch nicht wahr sein!!!«
    Cevats kleine Brüder hocken sich neben ihn auf die Couch. Cevat sagt: »Alle im Haus zahlen. Das Haus gehört im Grunde den Russen.«
    »Im Mietvertrag steht aber ...«
    »Scheiß auf den Mietvertrag. Die haben immer ihre Leute, ihre Partner. Denen gehört hier im Viertel fast alles. Jede

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