Feist Raymond E. - Krondor Saga 01
Sevigny einen Vortrag halten«, sagte Graves, »und
danach Baldwin de la Troville.«
»Ich werde versuchen, die Vorträge nicht zu
verpassen«, versicherte James. »Können wir heute
Nacht hier irgendwo schlafen?«
»Ihr könnt euch gerne in diesem Zimmer unter
die Tische legen, Jimmy. Die Räume oben werden
von den Brüdern oder als Lagerräume benutzt.«
»Unter den Tischen ist in Ordnung«, sagte Owyn,
der bereits sein Reisebündel ausrollte. Gorath tat
es ihm schweigend gleich.
James ließ sich gegenüber dem ehemaligen Dieb
und jetzigen Geistlichen nieder. Er sprach leise.
»Wieso gerade du, Ethan?«
Der Abt zuckte mit den Schultern. »Ich weiß
es nicht, Jimmy Du weißt, dass der Orden in der
Nähe von Sethanon sein will«, meinte er. »Es gibt
ein Dorf ein paar Meilen weiter südlich von der
alten Stadt – beileibe nichts, was man eine richtige
Stadt nennen würde. Aber die Straße dort ist noch
immer ein ordentlicher Handelsweg, und es scheint
Leute zu geben, die sich von den Karawanen und
Reisenden etwas versprechen die dort immer wieder vorbeiziehen. Es wäre zu offensichtlich, wenn
wir dort ein Kloster errichtet hätten. Hier können
wir vorsichtig vorgehen und von Zeit zu Zeit einen
Bruder hochschicken, der sich dort ein bisschen
umsieht – einfach nur um sicherzustellen, dass der
gegenwärtige Zustand nicht bedroht ist.«
»Mir ist aufgefallen, dass die beiden Männer,
die als Nächste hier Vorträge halten, welche sind,
denen Guy du Bas-Tyra vertraut.«
Graves nickte. »Hier gehen zu viele seltsame
Dinge vor, als dass eine andere Entscheidung möglich wäre. Es gibt ein paar Adlige …« Er zuckte mit
den Achseln. »Einige sind nicht so vertrauenswürdig, wie sie eigentlich sein sollten.«
»Du glaubst doch nicht etwa an Verrat?«
»Ich weiß nicht, woran ich glauben soll«, sagte
Graves. »Ich bin ein ehemaliger Dieb, der ganz
bewusst vom Tempel in Rillanon für einen möglicherweise schwierigen, vielleicht sogar gefährlichen Auftrag ausgewählt worden ist.« Er senkte
den Blick, als fürchtete er sich davor, James in
die Augen zu sehen. »Ich weiß nicht, ob ich dieser
Aufgabe gewachsen bin.«
»Ich hätte nie gedacht, dass du auch schüchtern
sein kannst, Ethan.«
Graves seufzte. »Es gibt so einiges, was du nicht
weißt, Jimmy Ich habe einige alte … sagen wir mal
Verbindungen. Es war nicht leicht, sie zu kappen.
Du weißt, wie das ist.«
James lachte. »Besser als die meisten. Ich bin mit
dem Todesmal der Spötter gezeichnet und darf die
Grenzen ihres Gebiets eigentlich nicht übertreten.
Trotzdem tue ich es immer wieder. Und solange
es ihnen passt, übersehen sie mein Verschulden
geflissentlich. Ich denke, ich weiß sehr gut, was du
meinst.«
»Ich hoffe, du weißt wirklich, was ich meine,
wenn es so weit ist«, sagte Graves. Er stand auf.
»Ich muss mich zurückziehen. Es gibt hier viel
Arbeit zu tun. Schlaf gut, Jimmy.«
»Du auch, Ethan.«
James rollte sein Bettzeug aus und legte sich
neben Owyn, der bereits eingeschlafen war. Als
er langsam in den Schlaf glitt, fragte er sich, was
Graves wohl gemeint haben könnte – »wenn es so
weit ist«.
Der Nordwind pfiff durch die Nacht. James kauerte
mit Owyn und Gorath am Feuer und wickelte sich
fester in seinen Mantel. Die Straße von Malac’s
Cross nach Süden wurde zwar seltener benutzt als
die Königliche Hochstraße nach Salador, führte
dafür aber direkt zum Ziel. Hinter ihnen standen
die drei Pferde, die James erworben hatte; sie verzehrten friedlich einen Teil des Futters, das er für
sie mitgenommen hatte.
»James, ich mache mir schon die ganze Zeit über
etwas Sorgen«, meinte Owyn, »und seit Malac’s
Cross möchte ich mit dir darüber sprechen.«
»Deshalb hast du so beunruhigt ausgesehen«,
sagte Gorath.
»Was ist denn los?«, fragte James.
»Ich weiß es nicht genau, aber es hat mit dem
Orakel zu tun … es ist eine Art Vorahnung.«
»Was unter diesen Umständen wohl nicht besonders unpassend ist«, sagte Gorath.
»Was meinst du?«, fragte James und heftete seinen Blick auf Owyn.
»Ich hatte den Eindruck, als wäre das Orakel
beunruhigt.«
James schwieg eine Zeit lang. Dann meinte
er: »Ich kenne mich mit Orakeln nicht besonders
gut aus, und das Orakel von Aal habe ich niemals
selbst gesehen. Aber nach allem, was ich gehört habe, ist das Orakel zwar in der Lage, eine mögliche
Zukunft vorherzusagen – nicht aber die eigene.«
»Eine mögliche Zukunft?«, fragte
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