Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Feldpostnummer unbekannt

Feldpostnummer unbekannt

Titel: Feldpostnummer unbekannt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
Vom Netzwerk:
und starrten in den Sumpf. Nichts war zu sehen, außer dem kleinen Sawitzky mit der Nickelbrille, der mit verbissenem Gesicht mitten in den nebligen Brei ballerte.
    »Bist du verrückt geworden?« fauchte ihn Achim an.
    »Da …«, versetzte der Junge fiebrig, den die beiden Silberlitzen an seiner Schulterklappe als KOB-Gefreiten auswiesen. Achim folgte seinem ausgestreckten Arm. Zwei Sumpfkrähen hackten auf einem Toten herum, flatterten davon, kamen zurück.
    »Das … das kann ich nicht sehen … es war Gerber … mein Freund.« Der Junge sprach wie gewürgt.
    Achim schmeckte seinen Magensaft im Mund. Er winkte drei Mann heran. »Holt ihn her!« befahl er.
    »Aber«, erwiderte ein Obergefreiter.
    »Schnauze!«
    Sie betrachteten den kleinen Sawitzky, den Professor, der ihnen den Befehl eingebrockt hatte, mit wütenden Augen.
    »Ich lass' mich ablösen«, bat der Junge, »ich möchte mit …«
    Der Zugführer war einverstanden. »Aber dalli, dalli!« sagte er. Die anderen dösten weiter.
    Der aufziehende Abend war kalt und feucht. Die Klamotten wurden steif über der schrumpfenden Haut. Selbst den Läusen war nicht mehr wohl; sie hörten auf zu beißen, und die geschundenen, zerschlagenen Soldaten stellten das Kratzen ein.
    Achim Kleebach kauerte frierend neben Unteroffizier Hanselmann. »Schöne Scheiße«, sagte er.
    »Ist noch gar nichts«, erwiderte der Unteroffizier. »Warte, bis der Winter kommt … das hier ist noch ein Vergnügen.«
    »Jetzt möchte ich in Afrika sein«, versetzte Achim.
    »Und ich zu Hause«, entgegnete Hanselmann, »meine Frau kriegt ein Kind.«
    »Dazu braucht sie dich nicht mehr«, antwortete Achim lachend.
    Aber der Bulle hörte weg, vergaß Nacht, Nebel und Kälte, war zu Hause im gemütlichen Wohnzimmer. Der Kachelofen bullerte, ein Radio spielte, die Stricknadeln seiner Frau klickten, und aus dem Nebenraum kam ein greinendes Geschrei. »Er hat schon wieder Hunger«, sagte Frau Hanselmann und lächelte ihn an, »er ist ganz der Papa …«
    Nur mühselig bahnten sich die Gedanken des Kompaniebullen 3.000 Kilometer weit den Weg zurück zur Hauptkampflinie. »Fünfundzwanzig, dreißig Grad minus«, spuckte er dann seine Wintererfahrung aus, »und dann kommen die Kerle, und du mußt die Knarre nehmen … und deine Hände sind so steif wie der Lauf, und du glaubst, daß dir die Finger abbrechen … und wenn du nicht schnell machst, dann frierst du nicht bloß, dann wirst du kalt … kalt für immer …«
    »Hör schon auf!« versetzte Achim düster. »Wenn wir erst in Stalingrad sind, da gibt's Häuser, Wohnungen, Öfen, Schnaps, Weiber … Ist das gar nichts?«
    »Du wirst dich noch wundern«, versetzte Hanselmann, »dir vergeht noch der Appetit zum Scheißen … verlass dich drauf!«
    »Sieh nach deiner Gruppe!« scheuchte ihn der Zugführer aus der Stellung.
    »Aber ein Gutes hat dieser russische Winter«, entgegnete der Unteroffizier beim Abgehen, »man kann sich wenigstens die Knochen erfrieren und kommt dann ins Lazarett.«
    Damals, in dem verfluchten Winter des Jahres 1941, hatte es der Unteroffizier vor Moskau nur zu Erfrierungen zweiten Grades gebracht, was seine abgestorbene Nase deutlicher auswies als der Gefrierfleischorden am Waffenrock. Mit Ausnahme von vier Wochen Heimaturlaub hatte Hanselmann den Krieg im Osten vom ersten Tag an mitgemacht. Am 22. Juni 1941 war er über den Fluß Bierbrza bei Lipsk gezogen und fast ohne Anhalt weiter bis Moskau gestürmt, hatte den Blitzkrieg erlebt und das langsame Erfrieren des Körpers erlernt. Er hatte daran geglaubt, daß der Ostkrieg zu Ende sei, wenn Hitlers Gruppen erst am Ural stünden, und dann jede Illusion verloren, noch bevor Stalingrad erreicht war. Er hasste seinen Führer genauso wie die Wanzen, die Läuse, die Ratten, die Russen, die Kälte und den Dreck. Und trotzdem stand er es alles stur durch, weil es der einzige Umweg war, der zu Elisabeth, seiner Frau, führen konnte. Gegen Mitternacht hatte der Herbstfrost seinen tiefsten Punkt erreicht. Der Schlamm in den Gräben wurde so klamm wie die Körper der jungen Soldaten, die darauf lagen. In der Mitte der Stellung, etwas zurückgezogen, hatten sie einen provisorischen Erdbunker aufgebaut und mit Stroh bedeckt. Und hier lagen sie kreuz und quer nebeneinander, und die Wärme, die sie sich gegenseitig gaben, fragte nicht danach, ob sie sich mochten; sie waren aufeinander angewiesen und mußten das mit ihrem Selbsterhaltungstrieb in Einklang bringen – und das

Weitere Kostenlose Bücher