Felicity Gallant und das steinerne Herz (German Edition)
wohl auch?«, fragte er ganz aufgeregt.
Felicity lächelte verlegen. »Nein, ich habe nur mal eine Abbildung davon in einem Buch gesehen.«
Er schaute auf den Boden. Für einen Lehrer wirkte er ungewöhnlich schüchtern. »Natürlich. Es ist eine recht ausgefallene Freizeitbeschäftigung, ich weiß.«
Henry war schon ganz zappelig vor Ungeduld, und Martha langweilte sich unverkennbar, aber Felicity tat dieser sonderbare Mann leid. »Ach nein, es ist bestimmt interessant«, sagte sie freundlich. »Und ich bin sicher, dass Ihnen mein Großvater gern den Gefallen tut.«
Povl Usage strahlte und bedankte sich mehrmals, bevor er abzog.
»Er sieht immer irgendwie traurig aus«, sagte Felicity zu ihren Freunden, als er außer Hörweite war. Bestimmt war ihm bewusst, dass das Gekicher und Geflüster der Kinder auf dem Schulhof etwas mit ihm zu tun hatte.
»Eigentlich hättest du ihm sagen sollen, dass Autogramme nicht ohne Gegenleistung zu haben sind«, bemerkte Henry. »Dafür könnte er schon mal bei der Korrektur von Prüfungsarbeiten ein Auge zudrücken.«
»Henry!«, rief Martha schockiert.
»War nur Spaß, ehrlich.« Er seufzte. »Manchmal fürchte ich echt, dass meine Komikerqualitäten bis an mein Lebensende unentdeckt bleiben.«
Der Schultag verging ohne besondere Ereignisse. Wenn überhaupt etwas bemerkenswert war, dann die Tatsache, dass Martha es schaffte, ihre Vorfreude auf den Besuch bei Rafe halbwegs zu zügeln. Aber kaum hatte die Klingel das Ende der letzten Unterrichtsstunde verkündet, zog sie – Felicity im Schlepptau – eilig los und redete aufgeregt ohne Punkt und Komma auf ihre Freundin ein, bis sie in dem alten Herrenhaus oben auf der Klippe ankamen.
Rafe führte die beiden Mädchen in sein Arbeitszimmer und machte erst einmal Tee. Sein Gesicht war wettergegerbt nach all den Jahren, die er auf den sieben Weltmeeren zugebracht hatte, seine blauen Augen blitzten. Er trug einen dunklen Anzug und ein Seidentüchlein um den Hals. Seine silbernen Haare waren im Lauf des Sommers ein bisschen zu lang geworden.
Felicity fühlte sich hier rundum wohl. Es war angenehm warm und still, der Geruch des Kaminfeuers lag in der Luft. Sie liebte diesen mit Eichenholz getäfelten Raum. Martha sah sich ehrfürchtig um. Die Wand mit den Regalen voller Bücher zog sie magnetisch an. Neben einem Tisch, auf dem Land- und Seekarten ausgebreitet lagen, blieb sie schüchtern stehen.
»Nur zu, fühl dich wie zu Hause«, sagte Rafe lächelnd.
Voller Wissbegier fing Martha an, die Papiere zu studieren.
Der Heartsease Cup hatte einen Ehrenplatz auf dem Sideboard bekommen. Felicity hob den Pokal hoch. Die drei Männer mit den schmerzverzerrten Gesichtern sahen sie an.
»Ein Freund meines Vaters hat ihn gemacht«, sagte Rafe. »Ursprünglich wurde in dem Gefäß der Blutstein aufbewahrt, aber der ging dann verloren.«
»Der Blutstein? Was ist das?«, fragte Martha.
»Eine von diesen
besonderen
Sachen, die die Gentry besaß – du weißt schon, eine Art Wunderding«, sagte Felicity.
Rafe konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. »Na ja, die Wissenschaftler, die sich mit der Geschichte der Gentry befassen, nennen es
Artefakt
.«
»So etwas wie das Auge des Sturms oder die Sturmmaschine«, erklärte Felicity.
»Und was ist das Besondere an diesem Blutstein?«, fragte Martha. Das Auge des Sturms kannte sie natürlich. Schließlich hatte es Felicity im vorigen Jahr das Leben gerettet. Und über die Sturmmaschine wusste sie auch Bescheid. Die Usages hatten sie anfertigen lassen. Sie konnte heftige Stürme entfachen, die vorüberfahrende Schiffe auf die Klippen trieben, sodass sie strandeten. Die Wracks wurden dann geplündert.
»Er war blutrot und hochgradig giftig«, sagte Rafe. »Man bewahrte ihn in Wasser auf, und dieses Wasser hatte eine teuflische Wirkung: Die Leute, die davon tranken, wurden wahnsinnig.« Er schenkte Tee ein. »Als kleiner Junge habe ich ihn einmal angefasst und wurde sehr krank. Seitdem hatte ich immer ein solches Grauen vor dem Stein, dass ich es vermied, ihn auch nur anzusehen. Darum habe ich es wahrscheinlich lange Zeit gar nicht bemerkt, dass er verschwunden war.«
Er stellte Martha eine prächtig bemalte Teetasse hin. »Ich habe mir gedacht, wir fangen mit den Fenstern an, die mein Vater entworfen hat. Man kann damit Signale übermitteln. Dann zeige ich euch die Sammlung mit technischen Apparaten und Instrumenten für die Seefahrt – die meisten davon haben die Twogoods
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