Felix Castor: Ein Höllenhund kommt selten allein (German Edition)
überprüft und abgewogen«, sagte Pen. »Und du wurdest für okay befunden.«
»Nun, können sie das Gleiche nicht auch mit Juliet tun?«
Sie zögerte. Pen hasste es, jemanden zu verurteilen. Ich konnte erkennen, dass sie gegen ihren Instinkt ankämpfte, und kam mir plötzlich ganz mies vor, weil ich ihr im übertragenen Sinn den Arm umdrehte.
»Es ist schon gut«, sagte ich und lud mir das Leichtgewicht wieder auf die Arme. »Ich bringe sie woandershin.«
Aber ich spuckte in den Wind. Wieder zurück im Wagen und unterwegs in die Stadt, zermarterte ich mir das Gehirn mit der Suche nach einem Woanders, das Sinn machte. Juliet lag auf dem Rücksitz und verströmte sogar in ihrem bewusstlosen Zustand einen widerlich süßen Geruch, der versuchte, sich zwischen mein Rautenhirn und die analytischeren Bereiche grauer Materie zu drängen und meinen Geist mit unauslöschlichen sinnlichen Bildern füllte. Ob schlafend oder wach, sie war immer noch eine Venusfliegenfalle. Es gab keinen Ort, an dem sie sicher war.
Während mein Gehirn mehr oder weniger auf Automatikbetrieb umgeschaltet hatte und ich derweil gegen den Geruch und meine geheimsten Wünsche ankämpfte, lenkte ich den Wagen nach Westen: nicht nach Acton, sondern nach Paddington. Was ich dort zu tun hatte, würde nicht allzu lange dauern. Vielleicht würde Juliet, wenn ich sie mit meinem Mantel zudeckte, unbemerkt bleiben. Ich hatte sowieso kaum eine andere Wahl. Ringsum gab es so viele tickende Uhren, dass ich Probleme hatte, mich auf meine Gedanken zu konzentrieren. Das Ding in der Saint Michael’s Church wurde stärker; die Kirchgänger, die Köpfe verseucht mit giftigem Mist, waren noch immer irgendwo da draußen; Basquiat wühlte sich durch die Bürokratie, damit sie mich wegen Mordes verhaften konnte, und die Anathemata hatten mir eine letzte Warnung zukommen lassen. Meine einzige Möglichkeit, mich aus dieser ausweglosen Schlucht zu befreien, bestand darin, unbeirrt meinen Weg weiterzuverfolgen, während die Wände ständig näher aufeinander zurückten. Ich musste Dennis Peace und Abbie Torringtons Geist finden, und vielleicht ergäbe sich dann alles von selbst. Aber wirklich nur vielleicht. Anderenfalls würden wir alle wohl den Bach runtergehen.
Ich parkte so nahe an der Station Lancaster Gate, wie die gelben Halteverbotslinien es zuließen. Ich wollte nicht, dass der Wagen auffiel, solange ich ihn sich selbst überließ, daher war es durchaus sinnvoll, alle Vorschriften einzuhalten. Den Rest des Wegs zur Praed Street und durch die stets offenen Tore dessen, was früher als Urogenitalklinik, kurz Syph-Tempel, gedient hatte, legte ich zu Fuß zurück. Seit sieben Jahren beschäftigte man sich dort mit einem esoterischeren Zweig der Medizin, nämlich mit metamorpher Ontologie.
Jenna-Jane Mulbridge hatte diesen Begriff geprägt und ihm dann Bedeutung verliehen, indem sie in etwa zwei Dutzend Monografien und drei umfangreichen Studien – eine über Werwesen, eine über Zombies und eine über Geister allgemein – dafür die Trommel gerührt hatte. Am Ende hatte sie ein Klima geschaffen, das sie brauchte, um Erfolg zu haben und Universitätskliniken überall im Land zu zwingen, ihre Vorbehalte aufzugeben und sich mit Phänomenen auseinanderzusetzen, die nicht als medizinisch betrachtet wurden, bevor sie sich damit näher befasst hatte. Durchaus verständlich, denn wie sollte man Tote kurieren?
Ja, wie sollte und könnte man Tote kurieren, gab Jenna-Jane die Frage zurück. Nun, das konnte man natürlich nicht. Aber wenn eine tote Seele einen lebendigen Wirt besetzte, dann entstand etwas, nennen wir es einen Zustand oder ein Leiden, das beobachtet und behandelt werden konnte. Und wenn eine tote Seele in ihre eigene fleischliche Hülle zurückkehrte und bewirkte, dass sie sich wieder bewegte und wieder redete und dachte, wie sollte man dann den Begriff Tod schlüssig und eindeutig definieren?
Wie bei kampferprobten Karrieristen üblich, hatte es sich in höchstem Maße ausgezahlt. Die meisten großen Krankenhäuser hatten MO -Abteilungen eingerichtet, und die Leitung des größten und besten, in der Praed Street, riss Jenna-Jane an sich. Sie wusste auch sofort, was sie tun musste. Sie rief gleich zu Beginn alle Londoner Exorzisten als Berater zusammen, ließ sich von ihnen alles beibringen, was sie wussten, zerpflückte es dann und fügte es mit derart skrupelloser, scharfer Intelligenz zusammen, dass schon nach kurzer Zeit wir es waren, die von ihr
Weitere Kostenlose Bücher