Felix Castor: Ein Höllenhund kommt selten allein (German Edition)
Talente und schufen ein Zentrum gezielten, drängenden Rufens, das aus dem Raum hinaus und in Gefilde vordrang, die wir nicht beschreiben, geschweige denn mit Namen belegen konnten.
Auch das funktionierte. Der Geist erhob sich mühsam, bewegte sich ziellos auf uns zu wie ein Ballon, dessen Schnur ein Kind, das in der Unterwelt herumspazierte, zufällig losgelassen hatte. Wir schnappten sie uns, drehten sie um, fixierten sie und spannten sie zwischen uns wie einen Schmetterling auf einer Fläche aufgeladener Luft auf.
Anfangs konnte sie nicht sprechen. Das lernte sie später. Sie war so lange tot gewesen, hatte so lange im ausgeweideten Haus ihrer Knochen geschlafen, dass sie vergessen hatte, wer sie war. Verängstigt und zornig zugleich bewegte sie ihren Mund, als wollte sie uns etwas mitteilen, aber nichts kam heraus. Sie zog sich zurück, zog die Fesseln unseres Willens um sich noch enger, so dass jede Bewegung sie stärker lähmte.
Sie war so winzig. Eine erwachsene Frau – eine reife Frau, gezeichnet von Krankheit und vom Leben an sich – nicht größer als ein zehnjähriges Mädchen. Es war grotesk, ich weiß. Dabei war bereits an den Gegenständen, die J-J uns zur Verfügung gestellt hatte, damit wir die Spur aufnehmen konnten, zu erkennen gewesen, dass wir es mit einer sehr alten Seele zu tun hatten. Als ich sie dann tatsächlich sah, traf mich das tiefer und schmerzlicher, als ich erwartet hatte. Ich hatte mit Religion nicht viel am Hut, und ich hatte noch nie von einem Gott gehört, dessen Gegenwart ich länger als die erste Hälfte der himmlischen Cocktailstunde ertragen könnte, trotzdem empfand ich das Ganze als Blasphemie. Und weil sie so klein und zerbrechlich war, kam es mir außerdem vor wie Kindesmisshandlung.
Aber ich konnte nicht einfach aufhören zu spielen. Mitten in einer Melodie abzubrechen ist in etwa das Gleiche, als würde man aus einem mit siebzig Meilen in der Stunde dahinrasenden Automobil aussteigen. Eine ganze Latte unangenehmer Folgeerscheinungen kann als sicher angenommen werden. Daher führte ich den Prozess so behutsam wie möglich zu Ende, und alle anderen taten das Gleiche. Wir zogen den rasenden, verängstigten, sich heftig wehrenden Fisch, in den wir alle unsere Haken geschlagen hatten, an Land.
Jenna-Jane war euphorisch. Sie hatte nicht erwartet, gleich beim ersten Versuch ein derart spektakuläres Ergebnis zu erzielen. Ehe wir uns darüber klar werden konnten, wie wir uns fühlten, oder darüber reden konnten, was wir soeben getan hatten, schickte sie ein zweites Team ins Gefecht. Diesmal keine Exorzisten, sondern Medien und Sensitive, ebenso eklektisch und wertneutral handelnd, wie unsere Truppe es getan hatte. Wir wurden beiseitegedrängt, weil unser Job erledigt war.
Kurz danach stieg ich aus dem Praed-Street-Projekt aus und zeigte J-J die kalte Schulter, als sie versuchte, mich für eine Wiederholung zu gewinnen. Wenn man sich ihre Äußerungen genauer ansah und zwischen den Zeilen las, plagte zahlreiche andere Exorzisten, die an diesem Tag dabei gewesen waren, nachher ebenfalls ein schlechtes Gewissen und ein Gefühl der Scham. Sie hatte es danach nie mehr geschafft, derart viel geballtes übersinnliches Talent in einem Raum zu versammeln, und Rosie Crucis blieb etwas Einmaliges.
Der Name war J-Js ganz persönlicher Insiderwitz und spielte auf subtile Art und Weise auf die wahre Identität des Geistes an, den wir gerufen hatten – während er gleichzeitig verhinderte, dass seine Identität durch eine unbedachte Bemerkung enthüllt wurde. Das war wichtig, denn – um bei der Angel-Metapher zu bleiben – nun, da Rosie sicher an Land gebracht worden war, hatte J-J nicht im Entferntesten die Absicht, sie wieder ins Wasser zu werfen.
Der Plan war, Rosie zu gestatten – oder vielleicht zu veranlassen – einen der Sensitiven zu besetzen, so dass ihr Geist in der Welt der Lebenden einen festen Halt fand. J-J hatte zu diesem Zweck die reichhaltigste Auswahl an Medien bereitgestellt, die sie finden konnte: beiderlei Geschlechts, jeden Alters und jeder Rasse, jeder philosophischen Denkrichtung und jeden Glaubens vom klassischen Spiritisten über den beknackten Millenaristen bis hin zum asketischen Swedenborgianer und schaumbedeckten Blavatskianer.
Rose widersetzte sich allen Erwartungen und suchte sich J-J aus. Sie lebte (in Ermangelung eines besseren Worts) zwanzig Tage und einundzwanzig Nächte in ihr, an deren Ende sich J-J auf Grund einer Dauermigräne und
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