Felix Castor: Ein Höllenhund kommt selten allein (German Edition)
zu sehen.
Ich machte zwei Rollen seitwärts, kam schnell hoch und wirbelte zu Sallis herum für den Fall, dass er noch bei Bewusstsein war und nach seiner Pistole griff. Aber ich hätte mir keine Sorgen zu machen brauchen. Er lag völlig still auf dem Boden, Kopf und Oberkörper unter der Trennwand vergraben. Ich schnappte mir die Pistole, untersuchte sie und fand den Sicherungsflügel. Danach schob ich das vordere Ende der Trennwand mit einem Fuß beiseite. Sallis war bewusstlos. Ein dünner Blutfaden sickerte aus einer oberflächlichen Stirnwunde. Er atmete, und der Schnitt in seiner Stirn war die einzige Wunde, die ich sehen konnte. Wahrscheinlich würde er nichts Schlimmeres als kurzzeitige Kopfschmerzen zurückbehalten.
Ich zog Sallis eilig aus und schlüpfte in seine Jeans, sein Hemd und seine Jacke. Im Großen und Ganzen passten mir die Sachen ganz gut, und der schwache Gestank seines schalen Schweißes war ein Preis, den ich bereitwillig bezahlte. Ich durchsuchte seine Taschen. Bingo: ein kleines Bündel Geldscheine, ein Kartenetui, sogar ein Satz Wagenschlüssel an einem Schlüsselanhänger mit Mitsubishi-Logo. Die Pistole steckte ich ebenfalls ein, da ich keine Möglichkeit sah, meine eigene Waffe zurückzubekommen.
Ich war hier fertig und musste zusehen, dass ich wegkam. Aber ich zögerte, weil mir blitzartig eine Idee gekommen war. Eine weitere folgte auf dem Fuße. Alles andere als naheliegend und außerdem beunruhigend, weil sie bedeutete, dass ich auf dem Weg zurückgehen musste, auf dem ich gekommen war. Ich war mir nicht sicher, ob der Zuwachs an Material den Verlust an Zeit ausglich, aber so oder so konnte ich mir nicht den Luxus leisten, untätig herumzustehen und mir darüber den Kopf zu zerbrechen.
Eins nach dem anderen. Als ich in den Trümmern seines Schreibtisches herumkramte, fand ich einige Bögen Papier und einen schwarzen Kugelschreiber. Ich legte das Papier auf Sallis’ Rücken und schrieb eine kurze Nachricht. Wahrscheinlich würde es nicht helfen, aber es konnte auch nicht schaden, also was sollte es? Ich faltete die Nachricht zusammen und schob sie hinter den Bund seiner Unterhose wie einen Fünfer ins Suspensorium eines Chippendales.
Dann kehrte ich in den Lagerraum zurück und sammelte etwa ein halbes Dutzend von den alten Filmdosen ein, wobei ich sie vorher schüttelte, um sicherzugehen, dass sie voll waren. Sie konnten Rohmaterial enthalten, mittlerweile nutzlos geworden, weil die Kameras, die dieses Filmmaterial verarbeiteten, schon vor Jahrzehnten verrostet und auf dem Schrotthaufen gelandet waren; oder es konnten verschollene Meisterwerke aus der Stummfilmära sein, die hier ihr geheimes Dasein fristeten. Ganz bewusst vermied ich es, die Etiketten zu lesen, weil sich, ganz gleich, was sich in den Dosen befand, ihr einziger Wert für mich daraus ergab, dass die feuersicheren Türen drüben in Nickys Behausung in meiner Erinnerung noch ganz frisch waren: Zelluloid ist genauso leicht entflammbar wie Benzin.
Es wurde Zeit aufzubrechen, und das im wahrsten Sinne des Wortes. Diesmal wurde ich nicht vom Vorhängeschloss am Fuß der Treppe aufgehalten, denn diesmal hatte ich Sallis’ Pistole. Der erste Schuss ging daneben, aber der zweite durchtrennte die Kette, und ich öffnete die Tür mit einem Fußtritt.
Ich befand mich wieder in der Tiefgarage, und sie war leer. Für den Fall, dass der unanständig laute Schusslärm Werwölfe oder Wachmänner angelockt hatte, beschleunigte ich meine Schritte und ging über die leicht ansteigende Rampe dorthin, wo sich hoffentlich die Ausfahrt befand. Auf halbem Weg stieß ich auf ein Motorrad, das auf eine schiefe Art und Weise an der Wand lehnte, war auf einen defekten Ständer schließen ließ. Am Ende der Rampe versperrte ein Schutzgitter den Weg. Jenseits des Gitters warteten Licht und Lärm und Leben. Theaterbesucher und Nachtschwärmer flanierten vorbei, auf selige Art völlig ahnungslos, welche düsteren Welten in ihrer nächsten Nähe lauerten. War es noch die alte oder bereits die nächste Nacht? Wie lange war ich weggetreten gewesen, nachdem Gwillam mir das Wahrheitsserum injiziert hatte? Die Antwort kam sofort. Wenn ich vierundzwanzig Stunden lang ohnmächtig gewesen wäre, hätte ich mich verdammt viel ausgetrockneter fühlen müssen. Es war immer noch Donnerstag, und ich hatte noch immer eine reelle Chance.
Für einen Moment hasste ich die Leute beinahe, die in einem unerbittlichen Sog der Normalität vorbeiströmten –
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