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Felix Castor: Ein Höllenhund kommt selten allein (German Edition)

Felix Castor: Ein Höllenhund kommt selten allein (German Edition)

Titel: Felix Castor: Ein Höllenhund kommt selten allein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mike Carey
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mitgerissen, ehe jemand sie erreichen konnte«, setzte Steve den Bericht fort und klang dabei wütend. Aber es war eine alte Wut, oft empfunden und zum Ausdruck gebracht und ihrer selbst allmählich überdrüssig. »Sie hätten erst gar nicht so nah ans Wasser gehen dürfen. Sie hatten keine Chance. Nicht die geringste.«
    Sie verfielen in Schweigen und schauten weder mich noch einander an. Ich konnte erkennen, dass der Schmerz noch ganz frisch war, selbst nach fast einem Jahr. Er wäre wahrscheinlich auch nach fast einem ganzen Leben immer noch frisch. »Aber sie kam zurück«, äußerte ich eine Vermutung. Allmählich nahm das Bild für mich Gestalt an. Es war ein düsteres und trauriges Bild, beherrscht von Grauschattierungen – aber andererseits bekam ich generell nicht viele Bilder in hellen Grundfarben zu sehen.
    Steve nickte. »Ja, sie kam zurück. Etwa drei Monate später. Wir waren gerade in ihrem Zimmer.«
    »Um ihre Dinge auszuräumen?«, fragte ich, aber er schüttelte heftig den Kopf. »Nein. Wir saßen nur da. In ihrem Zimmer. Und ich – ich spürte plötzlich, dass wir nicht allein waren. Dass jemand hereingekommen war und ganz nah bei uns stand. Ich konnte nichts sehen, aber ich wusste es.« Er brachte ein sehr schwaches, sehr müdes Lächeln zustande. »Ich wandte mich zu Mel um und sagte, ›Spürst du es?‹. Etwas in dieser Richtung. Sie dachte, ich hätte den Verstand verloren. Aber dann nickte sie. Ja. Sie spürte es ebenfalls. Und genauso war es zuerst. Man musste sich auf einen bestimmten Punkt stellen, und man konnte sie wahrnehmen. Es war fast so, als könnte man ihren Atem riechen. Und etwa eine Woche danach konnten wir sie zum ersten Mal sehen. Anfangs immer nur aus dem Augenwinkel – niemals, wenn wir uns zu ihr umdrehten und direkt in ihre Richtung blickten. Es war, als käme sie nach und nach zu uns zurück, von weit her. Wir warteten, und sie kam näher. Dann konnten wir ihre Stimme hören, manchmal nachts, wenn sie uns aus ihrem Zimmer gute Nacht wünschte, während wir zu Bett gingen. Wir riefen dann ebenfalls gute Nacht, als ob …«
    Er hielt inne, und Mel redete weiter. Für einen kurzen Moment hatte ich den Eindruck, als hätten sie diese Geschichte schon vorher erzählt, und ich fragte mich, ob sie ihr Glück schon bei vielen anderen Exorzisten versucht hatten, ehe sie zu mir kamen. »… sie noch am Leben wäre. Als ob nichts geschehen sei.«
    »Es schien der beste Weg zu sein, um sie zum Bleiben zu bewegen«, sagte Steve. »Ich stand abends an der Spüle und säuberte das Geschirr vom Abendessen, und sie befand sich hinter mir und begann ein Gespräch. Ich drehte mich nicht um. Ich antwortete ihr nur, schwatzte mit ihr. Erzählte ihr, was ich am Tag an meiner Arbeitsstelle erlebt hatte, und – und was ihre Freunde und Freundinnen machten. Ich scherzte mit ihr.«
    Er schloss die Augen für ein paar Sekunden, dann schlug er sie wieder auf und starrte mich an, als erwartete er von mir irgendeinen Widerspruch. Nach einem Moment rann eine einzelne Träne an seiner Wange herab. Er sah aus wie ein Mann, dem es schwerfiel zu weinen, und für einen kurzen Moment kam ich mir so schuldig vor wie ein unfreiwilliger Voyeur. »Ich weiß, wie seltsam das klingen muss, Mister Castor«, sagte Steve Torrington. »Aber dass sie wieder zurückgekommen war, verhinderte, dass wir uns trennten, nachdem wir sie verloren hatten. Wir wurden wieder zu einer Familie.« Er zuckte die Achseln – es war eine winzige Bewegung seiner Schultern, die Bände sprach. Ich wusste genau, wovon er sprach. Und angesichts all der anderen Orte, die Geister am Ende heimsuchten, befand sich der viel zitierte Busen der Familie in derartiger Nähe zum Himmel, dass es so gut wie keinen Unterschied mehr machte.
    Was möglicherweise genau der Punkt war, sagte eine klinische, leidenschaftslose Stimme in meinem Hinterkopf. Für Geister ist Glück eine zweischneidige Angelegenheit.
    Ich drückte es so sanft aus, wie ich konnte. »Manchmal – ich würde sogar behaupten oft – werden die Toten hier auf der Erde durch ein Gefühl festgehalten, dass es etwas gibt, das sie unbedingt noch erledigen müssen. In anderen Fällen ist es nur die Angst und der Schmerz des Übergangs oder irgendeine andere starke Emotion wie zum Beispiel Zorn.« Ich versuchte, es ihnen auf eine ganz bestimmte Art und Weise beizubringen, so dass sie es als das betrachten konnten, was es war – eine Art glückliches Ende. »Gewöhnlich wird es als

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