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Felix Castor: Ein Höllenhund kommt selten allein (German Edition)

Felix Castor: Ein Höllenhund kommt selten allein (German Edition)

Titel: Felix Castor: Ein Höllenhund kommt selten allein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mike Carey
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meiner Musik tanzen müsse. Ich befahl ihr, zu mir zu kommen.
    Es gab zwei gute Gründe, weshalb dieser Weg möglicherweise nicht zum Ziel führte. Der erste war, dass ich sie nicht gut genug kannte. Ich war nie persönlich mit ihr zusammengetroffen, weder zu Lebzeiten noch nach ihrem Tod, daher war die Musik unvollständig – sie war lediglich eine Art unfertige Skizze, die auf den Emotionen basierte, die ich in den Dingen aufspürte, die ihr gehört hatten. Diese Emotionen waren ausgeprägt und stark, aber sie waren nur ein einziges Teil eines Puzzles. Was ich im Augenblick praktizierte, war der Versuch, aus diesem einen Teil ein vollständiges Bild zusammenzusetzen, ohne die Darstellung auf dem Kartondeckel zu kennen.
    Der zweite Grund war, dass sie in jedem Fall zu weit entfernt war. Keine Beschwörung funktionierte, wenn der Geist sie nicht hörte, und ich hatte so etwas noch nie zuvor bei einem Geist versucht, der sich nicht mit mir im gleichen Raum befand.
    Aber die Regeln ändern sich in vieler Hinsicht, sobald man tot ist. Was ist Raum? Was ist Entfernung? Nach ein paar Sekunden spürte ich eine Reaktion in Form eines leichten Zitterns – wie das Vibrieren an einem Strang des Netzes, das ich unsichtbar um mich herum in die Luft spann. Ich bemühte mich, meine eigenen Emotionen – Genugtuung, Erregung, Unbehagen – unter Kontrolle zu halten, während ich diese Reaktion in die Melodie einfügte und mich so näher an Abbie heranarbeitete, sie zu mir zog, sie herbeirief. Die Vibrationen wurden um einen kaum messbaren Grad deutlicher, beharrlicher.
    Und dann, plötzlich und ohne Vorankündigung, waren sie verschwunden.
    Tote, stille, leere Luft umgab mich wie in dem Moment, nachdem der Kühlschrank aufhört zu summen und man glaubt, die Stille hören zu können.
    Ich kam aus dem Takt, stieß einen halblauten Fluch aus und begann von Neuem. Diesmal entstand die Musik deutlich schneller. Ich hatte jetzt ein besseres Gespür und konnte daher besser zielen. Ich hatte eine Ahnung, wo sie war.
    Abermals ein behutsames und zögerndes Zupfen und Ziehen am Klangnetz – von irgendwo über meiner linken Schulter, also aus Südwesten. Ich vermute, Richtung ist nicht aussagekräftiger als Entfernung, aber das Gefühl, dass aus dieser bestimmbaren Richtung ein Zug ausgeübt wurde, war sehr stark.
    Aber auch diesmal, als ich danach greifen, meinen Geist oder meine Seele in diesen Teil des Netzes verschieben wollte, erfolgte der unerwartete augenblickliche Kollaps – und danach jede Menge Nichts.
    Ein Verdacht regte sich in einem Winkel meines Verstands wie ein Bär im Winterschlaf, der zu früh aufgewacht und ziemlich übler Laune war. Aber möge Gott verhüten, dass ich zu irgendwelchen vorschnellen Schlüssen kam. Ich ließ den Gedanken ruhen und heftete einige alte Papiere ab, um meinen Geist abzulenken und zurück auf normal zu schalten.
    Eine halbe Stunde später versuchte ich mein Glück noch einmal, und zwar von Anfang an. Wie vorher begann ich mit der Puppe, wappnete mich, während ich mich darauf vorbereitete, zuerst mit der Zehenspitze und dann mit dem gesamten Rest in diesen eisigen Ozean der Traurigkeit einzutauchen – aber es herrschte totale Ebbe. Als ich diesmal das reizlose Spielzeug in die Hand nahm, spürte ich nichts, nicht eine einzige emotionale Regung. Erstaunt und verwirrt griff ich nach einem Teddybären, einem Paar Turnschuhe, einem Buch. Schließlich tauchte ich mit den Händen in die Kollektion von Teenager-Schätzen ein, spreizte die Finger, um möglichst viele verschiedene Dinge gleichzeitig zu berühren. Alle waren kalt und leblos.
    Und jetzt waren es die Schlussfolgerungen, die überfallartig auf mich einstürzten.
    Das war doch nicht möglich. Die Emotionsreste, die wir in Dingen hinterließen, die wir berührten, waren nicht mit Fingerabdrücken zu vergleichen. Sie konnten durchaus von späteren, stärkeren Eindrucken überlagert werden, aber sie konnten nicht weggewischt werden. Zumindest hatte ich das bisher immer angenommen. Aber genau das hatte jemand soeben getan. Er hatte die psychische Spur ausgelöscht, hatte mir den Teppich unter den Füßen weggezogen und mich mitten im absoluten Nichts auf dem Hintern landen lassen. Und auch diesmal musste ich mir eingestehen, dass ich nicht die geringste Ahnung hatte, wie das bewerkstelligt werden konnte.
    Geister entführen. Sie unaufspürbar machen. Ich hatte es mit jemandem zu tun, der in meinem eigenen Spiel besser war als ich. Mein

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