Felix Castor: Ein Höllenhund kommt selten allein (German Edition)
das würde ihn kaum beeinträchtigen. Rechts von mir erklang jedoch ein anderes Geräusch: ein Klappern von Metall auf Stein, das schnell verstummte. Ich witterte dort eine bessere Chance und machte einen Satz, ehe ich auch nur sehen konnte, wo die Pistole in der sich ausbreitenden Pfütze brauner Brühe aus den umgekippten Eimern gelandet war. Nicky hatte es geschafft, sich aus dem Bambusdickicht zu befreien, und krabbelte auf allen vieren in dieselbe Richtung. Da er sich bereits auf Bodenniveau befand, erreichte er unser gemeinsames Ziel als Erster, aber dann landete mein Fuß auf seinem Handgelenk, während sich seine Finger um die Waffe krümmten.
»Ich stehe nicht mit meinem gesamten Gewicht darauf«, erklärte ich ihm. »Wenn ich es tue, wird irgendetwas brechen.«
Nicky hatte eine krankhafte Angst vor physischen Schäden. Da er bereits tot war, fehlte ihm die Fähigkeit, sich davon zu erholen. Sämtliche Systeme, die in einem lebendigen Körper Fleisch und Knochen zusammenwachsen ließen und Infektionen neutralisierten, kamen in einem wandelnden Leichnam nicht zum Einsatz. Er lockerte hastig den Griff um die Waffe, und ich hob sie auf. Sie war alt und schwer, aber jemand hatte sie gepflegt, und ich bezweifelte nicht, dass sie funktionierte, auch wenn sie wie jetzt mit zähflüssigem braunem Matsch bedeckt war. Ich wusste nicht, wie man den Sicherungshebel umlegte oder das Magazin herausnahm, und richtete sie stattdessen auf Nicky. Er reckte die Hände in die Luft und rutschte auf dem Rücken liegend auf dem Boden von mir weg.
»Vorsicht! Ganz ruhig, Castor! Wenn ich getroffen werde, heilt die Wunde nicht!«
»Ganz ruhig? Du wolltest mich kaltmachen, du verdammter Irrer!«
»Ich wollte nur sichergehen, dass du mich nicht tötest.«
»Was?« Genervt und zugleich entrüstet ließ ich die Waffe sinken. »Nicky, du bist schon tot. Hast du das vergessen? Dich töten zu wollen, wäre vergebliche Liebesmüh.«
»Dann wenigstens, dass du mir keinen Schaden zufügst.« Er versuchte, die Beine anzuziehen und aufzustehen, ohne die Hände zu benutzen, die er immer noch zur Decke streckte.
»Dir Schaden zufügen. Richtig.« Ich ging zum Fenster und versuchte es zu öffnen. Nichts zu machen, der Rahmen war festgenagelt. Stattdessen zertrümmerte ich es, wogegen Nicky lautstark protestierte, und schleuderte die Pistole hinaus auf die von Unkraut überwucherte Asphaltfläche, die früher als Parkplatz des Kinos gedient hatte – ein kleines Präsent für das nächste Liebespaar, das sich ein stilles Plätzchen im hohen Gras suchte.
Dann wandte ich mich wieder zu Nicky um. Er ließ die Hände sinken und kam herüber, um aus dem Fenster zu schauen, dann musterte er mich mit finsterer Miene. Zum ersten Mal bemerkte ich, dass er über seinem gewohnten Zegna-Anzug eine Metzgerschürze trug. Es war eine seltsame und beunruhigende Kombination, selbst wenn die Flecken darauf mulchgrün und erdbraun anstatt blutrot waren.
Meistens wusste man, woran man bei Nicky war. Er litt bereits unter Verfolgungswahn, ehe er starb, und wenn überhaupt etwas, dann hat dieses Ereignis ihn in seiner Überzeugung bestärkt, dass das gesamte Universum hinter ihm her war. Daher war ich von all dem nicht besonders überrascht, sondern allenfalls auf eine morbide Art und Weise neugierig, was dieses Verhalten ausgelöst hatte.
»Weshalb, zum Teufel, sollte ich dir irgendwelchen Schaden zufügen wollen?«, wollte ich von ihm wissen. »Nein, lass es mich anders formulieren. Ich will dir ständig Schaden zufügen – aber warum sollte ich ausgerechnet den heutigen Tag auswählen, diesem Drang nachzugeben?«
Er war mürrisch und verteidigte sich. »Warum sollte jemand einen speziellen Moment aussuchen, um durchzudrehen? Ich weiß nur, dass eine Menge Leute gerade diesen Moment jetzt gewählt haben. Ist dir das irgendwie entgangen? Ich dachte, du hättest diese enge Verbindung zu London. Dieses Gespür für … Zeitgeist. Citygeist. Was auch immer. Wenn sich also jede Menge Londoner mit dem vergiften, was sie an Nahrung zu sich nehmen, und den Verstand verlieren, dachte ich, es sei möglich, dass auch du verrückt spielen würdest. Aber ich vermute, dass dein Empfänger heute auf eine andere Wellenlänge eingestellt war.« Er konnte erkennen, dass nichts von dem, was er sagte, für mich einen Sinn ergab – und auch, dass ich ziemlich sauer war –, daher versuchte er es mit anderen, klareren Argumenten. »Weißt du, wie viele Morde alljährlich in
Weitere Kostenlose Bücher