Femme fatale: Der fünfte Fall für Bruno, Chef de Police (German Edition)
alles. Deshalb habe ich ihn nie gewählt und werde es auch in Zukunft nicht tun.«
»Er hat trotzdem eine Stimme«, entgegnete Bruno und merkte, dass Alphonse der Demonstration ferngeblieben war. »Und es gibt viele, die ihn sehr schätzen. Ich gehöre dazu. Soll ich die Petition für Sie zum Bürgermeister bringen?«
»Nein, ich möchte Sie ihm persönlich überreichen. Aber dann muss ich sofort wieder zurück in die Bank. Ich habe meine Mittagspause nur ein bisschen vorgezogen.«
4
Der Bauernhof der Junots lag an einem der schönsten Aussichtspunkte des Tals, war aber wie zum Ausgleich für dieses Privileg von wenig fruchtbaren Feldern umgeben und im Winter den kalten Winden, die über das Plateau fegten, schutzlos ausgesetzt. Der Hof stammte aus der Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs der 1880er Jahre, als die neue Wunderpflanze, der Tabak, dem Périgord Reichtum beschert und die Bevölkerungszahl hatte rasch ansteigen lassen. Seitdem war es mit dem Hof wirtschaftlich stetig bergab gegangen. Das nur spärlich wachsende Gras, die Dornbüsche und Farnkräuter reichten allenfalls zur Aufzucht von Schafen und Ziegen. Die Vorfahren der Junots hatten über Generationen hinweg fruchtbaren Mutterboden vom Tal auf ihren Hügel hinaufgeschafft und einen geschützten Gemüsegarten kultiviert, der die Familie mit Rüben, Bohnen und Kartoffeln versorgte und dem sie ein bescheidenes, schwer erarbeitetes Auskommen abtrotzte. Doch dazu war Louis Junot offenbar nicht in der Lage.
Bruno hielt auf dem Hügelkamm an und sah, dass Ziegel vom Dach des Hauses gefallen und nicht wieder eingesetzt worden waren. Auch um die verrotteten Zäune schien sich niemand zu kümmern, der Garten war von Unkraut überwuchert, selbst die sechs armseligen Rebstockreihen. Bruno verzog unwillkürlich das Gesicht in Erinnerung an den sauren Wein aus Junots Herstellung. Wahrscheinlich war er der einzige Luxus, den er sich leisten konnte. Der Brennholzstapel auf der Terrasse war fast abgetragen. Normalerweise hatte jeder vernünftige Bauer einen Vorrat auf Lager, der für mindestens einen Winter reichte. Die Enten und Hühner sahen noch einigermaßen gesund aus, aber um ihre Versorgung kümmerte sich traditionell die Bäuerin, die den Erlös aus dem Verkauf der Eier auch für sich ansparen konnte.
Brunos Sorge galt jedoch nicht dem Zustand des Hofes, sondern ihrem Ehemann. Louis Junot war wahrscheinlich wieder einmal betrunken und entsprechend gewaltbereit. Die einzige Begründung für eine Festnahme wäre dieser anonyme Brief, und der allein reichte nicht aus. Ohne eine Anzeige der Frau hatte Bruno keine Handhabe. Im Büro hatte er einen Blick in die Liste geworfen, die er über alle Besitzer einer offiziellen Jagderlaubnis in Saint-Denis führte. Junots Name stand nicht darauf. Wenn also Hinweise auf Wilderei zu finden wären, und sei es nur der Kadaver eines Wildkaninchens, könnte er ihn deswegen vorübergehend festnehmen, und der Wunsch des Bürgermeisters nach Diskretion wäre erfüllt. Zuerst wollte Bruno allerdings in Erfahrung bringen, ob die Frau tatsächlich geschlagen worden war. Wenn ja, würde er sie um eine Aussage bitten, ein ernstes Wort mit ihrem Mann reden und ihn verwarnen. Viel mehr Möglichkeiten hatte Bruno in dieser Sache nicht.
Aus der Scheune, die ein Stück weiter unterhalb des Hauses stand, war ein Hämmern zu hören, unterbrochen von deftigen Flüchen. Hinter dem Fenster neben der Tür des Wohnhauses bewegte sich eine Gardine. Junots Frau hatte Bruno also anscheinend kommen sehen. Trotzdem ließ sie sich Zeit dabei, ihm die Tür zu öffnen, und tat das auch nur einen Spaltbreit. Sie kannte ihn von den Tagen der offenen Tür, die der Tennisclub regelmäßig veranstaltete, wenn sie ihrer Tochter beim Spiel zugesehen und sich mit anderen Müttern unterhalten hatte, während die Kinder sich über Butterbrote, Kuchen und Limonade hermachten. Jetzt aber beäugte sie ihn voller Argwohn, als er die Mütze vom Kopf nahm und lächelnd darum bat, eintreten zu dürfen.
»Weswegen?«
»Ich würde Ihnen gern ein paar Fragen stellen.«
»Was meinen Sie mit ›Fragen‹?« Durch den Spalt in der Tür sah er, dass ihre Wange geschwollen und ein Auge blau unterlaufen war.
»Wegen einer Beschwerde, die bei uns eingegangen ist«, antwortete Bruno. »Wenn Sie sich weigern, mit mir zu reden, muss ich Sie und Ihren Mann von der Gendarmerie vorladen lassen.«
Er hatte nicht die Absicht, ihr zu drohen. Ihm blieb einfach keine andere
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