Femme Fatales
Reglosigkeit jedes Gefühl in ihren Gliedmaßen. Und sobald sie die dann doch wieder bewegte, begannen sie unangenehm zu kribbeln.
Panik verträgt sich nur für eine gewisse Zeit mit Ereignislosigkeit. Und seit Nummer EINS und ZWEI vor einiger Zeit den Raum verlassen hatten, war nichts hier geschehen. Milena blieb in dem Stuhl sich selbst überlassen. Das Alleinsein, zusammen mit dem Mangel an jeglicher Ablenkung, trocknete Milenas Panik allmählich aus. Nach der Panik hatte Milena zwar für eine Weile den Eindruck durch eine große graue Leere zu stürzen, aber auch dies ging vorüber.
Milena war es schon von Berufs wegen gewohnt komplexe Zusammenhänge in möglichst einfache Muster einzugliedern, von denen aus klare Fragen zu formulieren waren, die gewöhnlich zu präzis formulierten Lösungen führten. So tauchte schließlich eine Reihe von Fragen in ihr auf, denen sie sich nicht entziehen konnte:
Warum hatte man sie hierher gebracht?
Wer hatte sie hierher gebracht?
Weshalb hatte man ausgerechnet sie ausgewählt?
Und – vor allem: Was versprach man sich von ihrer Entführung?
Etwas ging an der Tür zum Nachbarraum vor. Milena konnte die Tür zwar nicht sehen, aber sie hörte Schritte, die sich ihr näherten.
Nummer ZWEI.
Sie trug ein Stativ und einen kleinen Aluminiumkoffer. Sie verharrte und sah aus einigen Schritten Entfernung neugierig in Milenas Richtung. Dann trat sie zwei Schritt näher an den Stuhl heran und baute das Stativ auf. Zuletzt öffnete sie den Aluminiumkoffer und holte eine Kamera daraus hervor, die sie mit dem Stativ verband und dann auf Milena und den Stuhl ausrichtete.
Kein Wort fiel.
Auch Milena blieb stumm, teils aus Erstaunen, teils wohl auch aus neu erwachter Angst heraus.
Nummer ZWEI verschwand ohne die Kamera zuvor in Gang gesetzt zu haben, was Milena weitaus beunruhigender erschien, als die Anwesenheit der Kamera an sich.
Dennoch war es vor allem die Kamera, die sie schließlich davon überzeugte, die passende Erklärung für ihre Entführung gefunden zu haben.
Milena war weder reich, noch verfügte sie über Einfluss und sie hatte auch keinen Zugang zu irgendwelchen brisanten Informationen, für die sich das Risiko ihrer Entführung gelohnt hätte.
Da bei ihr nun einmal nichts zu holen war, das einen derartigen Aufwand rechtfertigte, weshalb war sie dann trotzdem auf diesem Stuhl gelandet?
Milena fiel dazu nur eine Antwort ein: Gerade, weil sie so gar nichts Besonderes darstellte, hatte man sie ausgewählt.
Sie entsann sich noch gut ihrer Kindheit, die in die letzte Hochzeit des Terrorismus der Nationalisten und Kommunisten fiel.
Sie erinnerte sich an die Bilder in Tageszeitungen und TV-Nachrichten, die immer dann aufgetaucht waren, wenn eine der Terroristengangs wieder irgendeinen Offizier, Beamten oder Politiker umgebracht, und sich in großspurigen Bekennerschreiben zu dem jeweiligen Anschlag bekannt hatte.
Damals wäre es Terroristen kaum eingefallen, ganz gewöhnliche Leute mit ganz gewöhnlichen Berufen am Vorabend des Nationalfeiertags zu entführen.
Nachdem aber auf der anderen Seite des Ozeans die beiden Türme gefallen waren, und die westliche Welt sich in einen immer länger dauernden schmutzigen Konflikt mit den Ländern im Nahen Osten verstrickte, änderte sich das.
Seither galten auch ganz gewöhnliche Leute als Freiwild für Terrorgruppen. Nicht auf die Prominenz des Opfers kam es mehr an, sondern darauf, überhaupt irgendein Opfer in seine Gewalt zu bekommen.
Man sprengte Busse und Vorortbahnen in die Luft, zerstörte Kinos, Bars und Tanzschuppen. Alles Orte, an denen ganz gewöhnliche Leute versammelt waren.
Worauf es den Terroristen heute ankam, waren die Schlagzeilen im Internet, in den Tageszeitungen und der Beitrag in den TV-Nachrichten.
Die Ware, mit der Terroristen handelten, war seit jeher Angst gewesen. Und für einen Kurzbeitrag in den Hauptnachrichtensendungen war wohl selbst die Entführung einer Milena Fanu gut.
Politikern, Millionären, hohen Beamten und Offizieren rechnete man es zum Berufsrisiko eines Tages möglicherweise einem Anschlag zu Opfer zu fallen. Sie wurden besonders geschützt und waren sicher auch für Angriffe trainiert und geschult worden.
Doch Leute, denen es nur darum ging, möglichst breitflächig Angst zu verbreiten, mussten gar nicht das Risiko eingehen, sich an einem speziell geschützten und trainierten Opfer die Zähne auszubeißen. Für ihre Zwecke genügte es ganz gewöhnliche Durchschnittsbürger zu
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