Fenster zum Zoo
Sie holt sich ihren Lieblingsgrizzly nach Köln und schickt den Kölner Grizzly dafür nach Duisburg in die Wüste«, sagte Muschalik. »Sie hat Jonny in Köln eingeladen, in Duisburg aus- und dafür Kaspar eingeladen, und Kaspar in Köln wieder ausgeladen. Das macht eine Tour Köln-Duisburg und zurück.«
»Ben Krämer wurde zufällig Zeuge des Bärentausches«, spekulierte Kraft, »Thomas Jartmann hat den Tausch hier in Duisburg herausgefunden. Dafür mussten beide sterben.«
»Nein«, sagte Muschalik nur.
»Wie, nein?«
»Das kann nicht der Grund gewesen sein.«
»Also ich finde, dass sind sehr gute Motive«, sagte Kraft.
»Es muss mehr dahinterstecken. Der Tausch allein, das kann ich mir nicht vorstellen.«
»Aber ein Bärentausch ist nicht nur ein starkes Stück, sondern er spricht auch für eine sehr bedenkliche Psyche, vor allem aber ist er eindeutig illegal.«
Soweit Kraft und Muschalik bekannt war, gab es keinen Präzedenzfall.
»Wer außer einer Frau wie Nelly, deren Leben der Bär ist, käme auch auf eine solche Idee?«, fragte Kraft.
»Eigentlich könnte es doch egal sein, welcher Grizzly in welchem Zoo wohnt.«
»Nein, so einfach ist das nicht. Juristisch gesehen hat sie sich an fremdem Eigentum vergriffen.«
»Ohne einen wirtschaftlichen Vorteil davon zu haben«, konterte Muschalik.
»Aber einen emotionalen. Jedenfalls für eine Frau wie Nelly.«
»Eine Frau wie Nelly. Du wiederholst dich«, meckerte Muschalik.
»Und du bist befangen«, sagte Kraft.
Befangen sei nicht das richtige Wort, dachte Muschalik.
»Das Ganze ist unfassbar«, sagte er nach einer Weile, »wir müssen unbedingt die Gegenprobe in Köln machen. Nicht, dass Jonny uns an der Nase herumführt und wir uns schrecklich blamieren.«
»Vielleicht hört er auch auf Lorenz.« Kraft grinste. »Vielleicht mag er seinen eigenen Namen nicht mehr und steckt mitten in einer Identitätskrise.«
»Sei nicht albern. Wir müssen noch mal zu Meier, wir haben vergessen, ihn nach Jartmann zu fragen, und wir müssen unbedingt alle Unternehmen in Duisburg und in Köln anrufen, die Schwertransporte machen. Ein Grizzly passt nicht auf den Beifahrersitz eines PKW.«
»Aber in jeden Möbelwagen. Einen 7,5-Tonner kannst du mit Klasse 3 fahren. Und überall mieten.«
»Hat Nelly Luxem denn einen Führerschein?« Irgendwie konnte Muschalik sich Nelly nicht hinter einem Lenkrad und einer Windschutzscheibe vorstellen.
Der Grizzly reagierte nicht, als Kraft den Namen Lorenz in sein Revier hinunterschrie, und der Zoodirektor kannte keinen Thomas Jartmann. Es war seines Wissens vor vierzehn Tagen auch kein Zoologiestudent im Duisburger Zoo gewesen und hatte sich nach dem Grizzly oder Nelly erkundigt. Aber er schlug den beiden Polizisten vor, zur Sicherheit auch seine Mitarbeiter zu befragen, die am 21. Juli Dienst hatten. Hinter seinem Schreibtisch hing eine Tafel mit den Namen des Personals und dessen Einsatzzeiten. Er fuhr mit dem Zeigefinger die Zeilen entlang und sagte: »Sie sind heute allerdings nicht da. Sie haben frei, wenn Sie bis Sonntag Zeit haben? Sonst gebe ich Ihnen die Adressen.«
»Wir kommen wieder.«
Auf dem Rückweg nach Köln grübelte Kraft immer noch und fragte schließlich den Zookenner Muschalik: »Sehen denn alle Grizzlys gleich aus, Lorenz?«
»Höchstens für den Laien.«
»Aber wir haben es hier doch mit Spezialisten zu tun. Zoodirektoren, Bärenpflegern, Tierärzten! Alles gelehrte Leute!«
»Mattis hat etwas gemerkt. Erinnerst du dich? Soweit ich weiß, haben die Zootiere alle eingepflanzte Chips, nach denen man sie ganz genau identifizieren kann.«
»Aber niemand hat nachgeschaut«, sagte Kraft, »niemand ist auf die Idee gekommen, nach Unterschieden zu suchen, warum sollten sie auch?«
»Man sieht nur, was man weiß.«
Die Gegenprobe am frühen Abend im Kölner Zoo verlief nicht so eindeutig, sodass ihnen erhebliche Zweifel an ihrer neuen Theorie kamen, der zufolge Jonny in Wirklichkeit Kaspar war. Kaspar sah ausgesprochen verwirrt drein, was aber auch an den letzten Ereignissen liegen konnte, die über ihn hereingebrochen waren. Das Leben in Köln schien für einen Grizzly recht ungewöhnlich und vor allem abenteuerlich zu sein. Dagegen musste es in Duisburg geradezu langweilig gewesen sein.
»Wenn Kaspar Honig mag …«, begann Muschalik.
»Ich weiß nicht, ob Honig ein Beweismittel sein kann«, erwiderte Kraft.
»Vielleicht kein entscheidendes, aber doch ein ergänzendes. Ich werde auf jeden Fall einen
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