Fenster zum Zoo
meinte Kraft, als er das Foto einsteckte.
* * *
»Jartmann war also wahrscheinlich auch schwul.«
Kraft jammerte, er hatte sich beim Einsteigen ins Auto den Kopf gestoßen und hielt sich nun mit einer Hand die linke Schläfe.
»Schnall dich an«, ermahnte Muschalik ihn, »sonst fängst du dir die nächste Beule.«
Aber Kraft schüttelte nur den Kopf: »Das Ehepaar Krämer gefällt mir überhaupt nicht.«
»Jeder geht mit dem Verlust eines Menschen anders um.«
Muschalik saß am Steuer, kämpfte gegen die Rushhour an und dachte laut nach: »Jartmann muss ganz sicher gewesen sein, dass es kein Unfall war, und mit aller Gewalt versucht haben, es zu beweisen. Er wusste, dass Ben Krämer so etwas nicht einfach passieren würde. Er war in seinen Augen sicher viel zu professionell dazu. Und darum hat er Nachforschungen in Nellys Vergangenheit angestellt, hat den Grizzlytausch herausbekommen und wollte sie damit unter Druck setzen. Und sie hat sich gewehrt.« Irgendwie verstärkte sich aber sein Gefühl, dass es nicht allein der Grizzlytausch gewesen sein konnte, den Jartmann herausbekommen hatte. Wenn Nelly der Grizzly so viel bedeutete, warum war sie dann nicht nach Duisburg zurückgekehrt, nachdem der Kölner Grizzly wieder gesund war? Warum hatte sie stattdessen eine derartige Aktion gestartet? Warum wollte oder musste sie Duisburg verlassen? »Hier stimmt was nicht«, sagte er und schüttelte den Kopf.
»Das kann man wohl sagen«, Kraft lehnte sich zurück und schloss die Augen.
Später schlug er vor, sicherheitshalber heute noch Frau Jartmann das Foto von den Pyrenäen zu zeigen. Vielleicht wusste sie mehr über ihren Sohn als Herr und Frau Krämer über Ben. Am Autobahnkreuz Heumar wechselten sie von der A 3 auf die A 4 Richtung Aachen. An der Autobahnausfahrt Klettenberg nahmen sie den linken Abzweig nach Hürth.
Als Frau Jartmann ihnen öffnete, preschte ein großer, gelber Hund an ihr vorbei und wedelte zur Begrüßung. Kraft fiel mit der Tür ins Haus und hielt ihr das Foto der beiden jungen Männer in den Pyrenäen unter die Nase: »War Ihr Sohn schwul?«
»Ja«, sagte sie ohne zu zögern, »warum?«
»Warum haben Sie uns das nicht gesagt?«
»Sie haben nicht gefragt.«
Er wollte auf dem Absatz kehrtmachen, aber Muschalik fand, dass sie Frau Jartmann eine Erklärung schuldig seien. Auf den ersten Blick hatte sie mit ihrem Sohn nicht viel gemein, vielleicht nur die krausen Haare. Sie wirkte zurückhaltend. Er hielt Kraft fest, stellte sich vor und erzählte von Wiesbaden. Frau Jartmann hörte ihm zu, ließ aber den Hund dabei nicht aus den Augen. Zum Schluss sagte sie, dass sie sich vage daran erinnern könne, dass ihr Sohn auch in den Pyrenäen gewesen sei, aber sie wisse nicht, wann; er sei sehr viel gereist. Von einem Ben Krämer habe er nie gesprochen. Auf keinen Fall.
»Haben Sie etwa Ihre Mütter früher über Ihre Liebschaften informiert?«, fragte sie erstaunt zurück.
»Nein. Niemals«, sagte Muschalik und musste an seine erste große Liebe denken, die ihn bereits in der Grundschule ereilt hatte. Er hatte ihren Namen vergessen. Niemals hätte er seiner Mutter davon berichtet. Nicht einmal die Angebetene hatte davon gewusst. Diese Liebe war und blieb ein heiliges, unerfülltes Geheimnis, das ihn mit großer Unsicherheit zurückließ. Später war es nicht anders gewesen. Seine Mutter hatte Betty erst kurz vor seiner Hochzeit kennen gelernt.
»Ben Krämer hat Thomas nie besucht. Sie haben sich nicht hier getroffen, sollten sie sich getroffen haben und … Liebe war also sein Motiv«, fügte Frau Jartmann nachdenklich hinzu.
»Ich denke, ja«, sagte Muschalik, »es läuft fast immer darauf hinaus. Weil Liebe alles andere nach sich zieht, Eifersucht, Enttäuschung, Einsamkeit, Hass, Rache, Drogenkonsum, Raub und Mord. Liebe ist wie ein Magnet für alle anderen Gefühle. Wenn es die Liebe nicht gäbe, gäbe es keine Verbrechen. Liebe ist …« Er merkte, dass er sich fest redete und unterbrach sich selbst. »Entschuldigen Sie unseren Überfall, aber es war wichtig. Wir werden so bald wie möglich in der Universität Kommilitonen von Thomas befragen, vielleicht wissen sie von Ben Krämer.«
Frau Jartmann nickte und rief den Hund zurück. »Wann können wir Thomas beerdigen?«, fragte sie, beugte sich hinunter und legte eine Hand auf den Hunderücken.
»Er ist noch in der Gerichtsmedizin. Aber wir werden uns dafür einsetzen, dass er bald freigegeben werde«, versprach Muschalik.
Sie nickte
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