Ferien mit Biss
Helene.
»Genau.« Silvania deutete auf ein Haltestellenschild. »Hier müssen wir raus.«
Die S-Bahn hielt mit quietschendem Sargboden. Silvania und Helene stiegen aus. Helene folgte Silvania an ein paar Budnyks vorbei. Daka wartete bereits auf sie. Sie flog hoch über ihnen vor einem Budnyk kapoi im Kreis. Der Budnyk war größer als die meisten anderen. Er leuchtete in verschiedenen Farben. In seinem Inneren schien es zu brodeln. Der Budnyk war von Leben gefüllt wie ein Ameisenhaufen. Es wimmelte, wuselte und flatterte nur so darin. Sein unteres Ende war platt und hatte zwei Löcher. Der Budnyk sah aus wie ein riesengroßer Elefantenrüssel.
»Das ist der Haupteingang«, sagte Silvania und deutete auf die Löcher.
»Wozu?«, fragte Helene.
»Zur Schule«, rief Daka. »Los, kommt!«
Das sabbernde
Klassenzimmer
B ogdan Moldovan saß in der ersten Reihe. Direkt vor der Lehrerin. Wie immer. Seine braunen, glatten Haare waren ordentlich zum Mittelscheitel gekämmt. Nur am obersten Ende des Scheitels stand ein Haarbüschel widerspenstig in die Höhe. Wie immer. Bogdan fiel es schwer, der Lehrerin zu folgen. Das war nicht wie immer. Er konnte sich einfach nicht auf das, was vor ihm passierte, konzentrieren. Seine Gedanken waren immer zwei Reihen weiter hinten. Dort saßen Daka und Silvania Tepes mit ihrer Menschenfreundin Helene. Helene sandte einen betörenden Duft aus: Sie roch nach Mensch.
Doch es war nicht Helene, die Bogdan so durcheinanderbrachte. Es war Silvania. Silvania Tepes. Seit Bogdan Silvania zum ersten Mal in der Vampirkrippe gesehen hatte, war er in sie verliebt. Sie hatte ihn damals mit Hirseblutbrei beschnippt. So hatte es ihm zumindest seine Mutter erzählt. Silvania war für Bogdan das schönste Wesen des Universums. Ihre rotbraunen, welligen Haare sahen aus wie ein loderndes Meer. Ihre Augen wie Kristalle in einer moosbewachsenen Grotte. Wenn sie in ein Buch vertieft war, erschien ein Grübchen auf ihrer linken Wange. Wenn sie nervös war, bekam sie rote Ränder um die Augen. Wenn sie sich ärgerte, trat ein Äderchen an ihrer Stirn hervor. Und wenn sie sich freute, wackelten ihre Ohrläppchen. So wie vorhin, als sie Bogdan begrüßt hatte.
Bogdan seufzte. Er wusste, dass er für Silvania nicht mehr als ein guter Freund war. Manchmal vielleicht ein sehr guter Freund. Aber nicht so ein Freund. Doch Bogdan war kein Vampir, der schnell aufgab. Er hatte Geduld. Er hatte Zuversicht. Er hatte Ausdauer. Silvania und er waren füreinander bestimmt. Er war sich sicher. Es war nur eine Frage der Zeit, bis Silvania darauf kommen würde. Als Vampir hatte Bogdan jede Menge Zeit.
Bogdan drehte sich kurz zu den Mädchen um. Silvania lächelte ihm zu. Aber es war nicht so ein Lächeln. Daka flüsterte Helene etwas ins Ohr. Helene starrte auf ein Schaubild. Sie war schön blass. Auf dem Schaubild waren ein Wildschwein, ein Hirsch, ein Schaf und ein Mensch abgebildet. Mit roten Pfeilen waren die Stellen markiert, wo der Vampir am besten zubeißen konnte.
Helene war heute in der Schule schon öfter sehr blass gewesen. Vor allem im Tierkundeunterricht bei Herrn Banat. Herr Banat hatte vor der gesamten Klasse sein zweites Frühstück eingenommen. Eine Wühlmaus. Da war Helene nicht nur blass, sondern auch ohnmächtig geworden. Bogdan fand, Daka und Silvania hätten ihre Menschenfreundin auf Herrn Banat vorbereiten müssen. Er war manchmal sogar für Vampire ein Schock. Und für Wühlmäuse.
Bogdan wandte sich wieder der Lehrerin zu. Frau Mirosa Strizio war schon seit 321 Jahren Lehrerin für Vampirgeschichte und Vampwanisch. Da sich Bistrien in Siebenbürgen befand, wuchsen die meisten Vampire dreisprachig auf. Mit Rumänisch, Deutsch und Vampwanisch. Frau Strizio gab ihr Bestes, um das Vampwanische auf den Vormarsch zu bringen. Sie war nicht nur eine glühende Verfechterin der Sprache der Vampire, sondern auch der Geschichte der Vampire.
Frau Strizio war fast zwei Meter groß und dünn wie der Zeigestock, mit dem sie gerade auf eine Karte deutete. »Hier«, sagte sie und schlug mit dem Stab auf die Karte. »Hier liegt die Wiege der Vampirheit.« Sie sprach heute ausnahmsweise nur Deutsch, damit ihr weit gereister Gast sie verstehen konnte. Es war höchste Zeit, fand Mirosa Strizio, dass die Menschen etwas über die Geschichte der Vampire erfuhren.
»Vor ungefähr 3 Millionen Jahren kamen dort die ersten modernen Vampire auf«, fuhr Frau Strizio fort. »Von dieser Stelle aus verbreiteten sich die Vampire
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