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Fern wie Sommerwind

Fern wie Sommerwind

Titel: Fern wie Sommerwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrycja Spychalski
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aus dem Bett, laufe etwas planlos hin und her und ziehe mir schließlich eine Strickjacke über.
    »Was meinst du damit?« Ich setze mich auf den Stuhl und drehe die Musik leiser. Die CD hatte ich natürlich gleich heute früh eingelegt. Ganz leise, damit Irmi es nicht hört. Und während es draußen dämmerte und die Vögel anfingen zu zwitschern, habe ich mich mit einem ganz wohligen Gefühl in das warme Bett gekuschelt und bin zu der Musik eingeschlafen.
    »Ach komm. Wenn man euch beide da so gesehen hat, am Lagerfeuer sitzend, stundenlang. Ihr – wie sagt man das so schön – ihr kommt nicht aus den Puschen!« Ruth setzt sich mir gegenüber auf den Schreibtisch und lässt ihre Beine baumeln.
    »Oh Gott!« Ich fahre mir mit der Hand über die Stirn.
    »Ist doch wahr!«
    »Nur weil wir nicht gleich wie wild rumknutschen und uns auf dem Waldboden hin und her wälzen?«, rutscht es mir so raus. Ich fühle mich in die Ecke gedrängt.
    »Ja genau! Zum Beispiel.« Ruth nimmt es locker.
    »Es hat sich nicht ergeben«, erkläre ich.
    »So etwas ergibt sich nicht. So etwas muss man forcieren!« Ruth schüttelt den Kopf, als wäre ich irgendwie von gestern.
    »Ach ja? Und wann genau bist du aufgestiegen zu Expertin in Liebesangelegenheiten?« Langsam wird es mir zu blöd, mich ständig erklären zu müssen.
    »Also gibst du es zu!« Ruth klatscht in die Hände.
    »Ich gebe gar nichts zu!«
    »Feigling!«
    Ich bin kurz davor, mich zu ärgern, aber dann besinne ich mich wieder. Was soll’s! Soll Ruth doch denken, was sie möchte. Alle Versuche, sie vom Gegenteil zu überzeugen, wären erbärmlich, halbherzig, verkrampft. Ich klettere zurück in mein Bett und decke mich zu. Ruth sieht mich an, erst besorgt, dann aufmunternd, und schließlich legt sie sich zu mir ins Bett. Wir starren eine Weile an die Decke.
    »Weißt du, das ist das erste Mal, dass ich von zu Hause weg bin. Alleine.« Ruth wechselt das Thema. Gott sei Dank!
    »Und? Wie fühlt sich das an?«, frage ich und gebe ihr ein Stück von meiner Decke ab.
    »Am Anfang war es komisch. Ernsthaft. Ich habe mich einsam gefühlt. Ich habe jeden Tag mit meinen Eltern telefoniert, immer so eine halbe Stunde, manchmal sogar länger. Aber dann, als wir eines Abends bis ganz spät bei Dario gesessen sind, da habe ich das Telefonat einfach ausfallen lassen. Und dann noch eins. Und plötzlich hat das Alleinsein Spaß gemacht. Ich ging spazieren, lächelte fremde Leute an, unterhielt mich mit dem Eisverkäufer. Das war lustig. Ich war lustig. Ich wusste bis dahin gar nicht, dass ich lustig sein kann.«
    »Ich weiß glaub ich, was du meinst.« Ich drehe mich auf die Seite, damit ich Ruths Gesicht sehen kann.
    »Ich muss doch langsam lernen, ohne meine Eltern klarzukommen«, stellt sie fest.
    »Fühlt sich komisch an, oder?« Ich kann sie sehr gut verstehen. Würde ich nicht bei Irmi wohnen, würde ich mich ziemlich verloren fühlen.
    »Ja. Erst mal schon. Aber ganz tief drinnen bin ich total aufgeregt. Auf eine gute Art und Weise. Wer weiß, was ich sonst noch so alles sein kann, wenn ich erst mal auf mich allein gestellt bin.« Sie knabbert an ihren Nägeln und versinkt in Gedanken.
    Da liegen wir also beide mit unserer Zukunft, die sich vor uns ausrollt, schweigen und hören Songs von Nina Simone. Unsere Arme berühren sich vertraut. Ich bin sehr froh, dass ich Ruth getroffen habe.
    Damit hatte ich nicht gerechnet, als ich den Job angenommen habe. Das kam so unerwartet und unkompliziert. Zu Hause hatte ich mir eher Sorgen gemacht, als mich darauf zu freuen, was passieren könnte. Aber vielleicht sollte man sich ohnehin nicht so viele Gedanken über das Morgen machen. Es kommt früh genug. Gerade mag ich noch gar nicht daran denken, wie es wird, wenn ich hier wieder weg muss. Zu Hause ist so weit weg und ganz unwirklich auf einmal.
    Später, als Ruth schon lange gegangen ist, kommt Martin vorbei. Er bleibt etwas schüchtern vor der Tür stehen und scharrt mit den Füßen auf dem Holz der Veranda.
    »Warum hast du bei dem Wetter einen Schal um?«, fragt er und lächelt mich an.
    »Halsschmerzen.« Ich fasse an den Schal und lockere ihn etwas.
    »Und ich dachte schon, du gehst mir aus dem Weg.« Er setzt sich auf die oberste Treppenstufe und vergräbt seine Hände in den Hosentaschen.
    Ich lehne mich ans Geländer. »Warum sollte ich?« Ich versuche, cool zu bleiben. Martin kann ja nicht wissen, dass er plötzlich in meinen Tagträumen auftaucht.
    »Na, wenn nicht, dann ist ja

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