Fesseln der Erinnerung
knappe halbe Stunde danach trafen sie in der Einrichtung ein.
„Weigert sich Bonner immer noch zu reden?“, fragte Max Bart, nachdem Sophia wieder zu ihnen gestoßen war. Sie hatte sich kurz von einem M-Medialen untersuchen lassen. Max warf ihr einen Blick zu, und sie schüttelte fast unmerklich den Kopf. Vor Erleichterung zog sich sein Herz zusammen – sie wehrte sich, ließ sich nicht unterkriegen von dem Tod, der ihr schon ihr Leben lang auf den Fersen war.
„Der Mistkerl hat kein Wort gesagt, seit er nach Ms Russo verlangt hat“, sagte Bart und sah Sophia an. „Seien Sie vorsichtig, Ms Russo. Mir scheint, er war sehr aufgebracht, nachdem wir ihm einen männlichen J-Medialen geschickt haben, um Ihre Arbeit nach der Videokonferenz fortzusetzen.“
Sophias Gesichtsausdruck blieb gelassen. „Das hatte ich auch nicht anders erwartet, Mr Reuben. Bonner ist es nicht gewohnt, dass ihm etwas verweigert wird.“
Max verschränkte die Arme über der Brust. „Das ist eine Untertreibung.“ Bonner war mit einem goldenen Löffel im Mund zur Welt gekommen, hatte die exklusivsten Privatschulen besucht, den Sommer auf einem Weingut in der Champagne verbracht und den Winter in einem Schweizer Skiort. Er brauchte nur um etwas zu bitten, und seine Eltern gaben es ihm, gaben ihrem einzigen Sohn alles – ein Auto für hunderttausend Dollar zu seinem sechzehnten Geburtstag, eine Weltreise zu seinem siebzehnten und mit achtzehn bekam er eine eigene Wohnung auf einem ihrer Grundstücke.
„Er wird versuchen, Sie auszutricksen“, sagte Bart und klopfte mit dem Stift auf den altmodischen Notizblock, den er benutzte. „Er hatte Gelegenheit genug, Nachforschungen anzustellen, vielleicht hat er etwas über Sie erfahren – “
Sophia schüttelte den Kopf. „Ich habe schon schlimmere Bestien überlebt.“ Sie sah Max in die Augen. „Es wird Zeit, hineinzugehen.“
Alles in ihm spannte sich an, so sehr sperrte er sich gegen diese Vorstellung, aber er nickte. „Ich bleibe hier – beim kleinsten Fingerzeig komme ich rein.“
Sophia betrat denselben Raum wie vor ein paar Tagen, aber diesmal war sie sich der Blicke von Max sehr bewusst, auch wenn sie durch die einseitig durchsichtige Scheibe getrennt waren, die das Vernehmungszimmer vom Beobachtungsraum abteilte. Und obwohl hinter Bonner ein Gefängniswärter stand, half ihr nur das Wissen, dass Max über sie wachte, ruhig zu bleiben und sich zu konzentrieren.
Ihr Detective würde nicht zulassen, dass die Bestie ihr etwas tat.
Aus dieser Gewissheit heraus sprach sie Bonner an, als sie an den Tisch herantrat, an dem er saß: „Mr Bonner.“
Gerard Bonners Lächeln gaukelte eine Nähe vor, die ihr die Haare zu Berge stehen ließen. „Sophia. Ich würde ja gerne aufstehen, um Sie zu begrüßen, aber leider … “ Er wies auf die Fesseln, die seine Bewegungsfreiheit einschränkten, seine Hände an den Stuhllehnen festhielten.
„Das dient meinem Schutz“, sagte sie und setzte sich ihm gegenüber. „Sie haben sehr kräftige Hände.“ Nachdem er Carissa White auf die schrecklichste Art gefoltert hatte, hatte er sie mit diesen Händen erwürgt.
„Müsste ich jetzt schockiert sein?“ Der gut aussehende Mann vor ihr lachte auf. „Ich habe es genossen. Die arme Carissa. Sie hat mich schließlich angefleht, es zu tun.“
So unglaublich geschickt, dachte sie, die Worte waren immer so gewählt, dass es kein Geständnis war. Obwohl sie das gar nicht brauchten, jedenfalls nicht im Fall Carissa White. „Man hat mir gesagt, Sie seien bereit, zu kooperieren.“
„Habe ich Ihnen mit meiner Bitte viele Unannehmlichkeiten bereitet?“, fragte er, und auf seinem Gesicht erschien ein Ausdruck, den viele wohl für aufrichtiges Bedauern gehalten hätten. „Ich mag Sie eben am liebsten. Sie sind so viel … netter als die anderen J-Medialen.“
„Wussten Sie, Mr Bonner“, sagte Sophia im leichten Plauderton, „dass man Anfang dieses Jahrhunderts noch Gefangene zusammen in eine Zelle sperrte? Was meinen Sie?“ Sie hielt seinem Blick stand, ließ ihn den Abgrund schauen, dass nichts, was er sagte, sie berühren würde. „Hätten Sie es auch genossen“ – absichtlich verwendete sie denselben Ausdruck, denselben Ton wie er – „mit jemanden zusammengesperrt zu werden, der nicht Ihren erlesenen Geschmack teilt?“
Diese Vorstellung gefiel Bonner ganz und gar nicht, in seinen Augen leuchtete ein Anzeichen von sadistischer Wut auf, bevor er sich wieder unter Kontrolle hatte.
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