Fesseln der Erinnerung
Seine Finger umklammerten das Handy. „Es wird alle Wunden von Neuem aufreißen.“
Im Schutz der Dunkelheit wagte sie es, ihm die Hand auf den Arm zu legen. „Aber sie werden Frieden finden – und Gwyneth wird an einem sicheren Ort zur letzten Ruhe gebettet.“
Max antwortete nicht, lehnte sich aber gegen ihre Hand. Beinahe wäre sie innerlich zersprungen.
Denn Max Shannon war kein Mann, der sich an andere anlehnte.
Sie stand neben ihm, als er die Nummer eingab, die er auswendig kannte, und das Handy ans Ohr hob. Dann tat er, was getan werden musste.
Die nächsten zwei Tage verbrachten sie wie hinter einem Schleier. Sophia sprach noch einmal über eine Videoverbindung mit Bonner. Doch dieser hatte keine Lust zu kooperieren. „Mir gefällt meine Extrastunde hier in der Sonne einfach zu gut“, meinte er. „Sehr zuvorkommend von den Verantwortlichen im Gefängnis, zu ihrem Wort zu stehen.“
Er hatte sich ihre Aufmerksamkeit verschafft und würde sie nun an der Nase herumführen. Sophia wollte deshalb nicht länger ihre Zeit verschwenden und fragte Max, ob sie ihm anders helfen könne.
„Behalte die Situation mit Nikita im Auge“, sagte er. „Sieh dir die Berichte der Gerichtsmedizin an, sobald sie eintreffen, und vergleiche die Ergebnisse von Nikitas Leuten mit denen des unabhängigen Labors, das wir beauftragt haben.“ Als verantwortlicher Detective im Fall Bonner musste er sich nicht nur um die Familien der Opfer kümmern, sondern auch um Politik und Medien. Seine Augen waren stark gerötet, weil er in der letzten Zeit kaum mehr geschlafen hatte. „Haben wir schon den Bericht der Mechanikerin über das Unfallauto?“
„Ja. Sie hat bestätigt, dass der Computer manipuliert wurde.“ Sophia hätte Max gerne berührt, ihm auf menschliche Weise Trost gespendet, aber sie befanden sich in der hastig eingerichteten „Kommandozentrale“ in dem Polizeirevier, das dem Fundort der Überreste von Gwyneth Hayley am nächsten lag. Das geschäftige Treiben um sie herum nahm ihre Sinne völlig gefangen. „Die von dir angeforderte zweite Autopsie der Fahrerin ist auch abgeschlossen. Sie haben Spuren von Betäubungsmitteln gefunden.“
„Das passt zusammen, wenn der Wagen die Waffe war.“ Er überflog den Bericht. „Selbst wenn sie telepathisch um Hilfe gerufen hätte, wäre kein Verdacht aufgekommen.“
„Vielleicht ist es besser, wenn ich nach San Francisco zurückkehre. Ich kann dann die Dinge – “
„Bleib.“ Die leise vorgebrachte Bitte enthielt eine Vielzahl ungesagter Dinge.
Sie verstand nicht, wodurch sie an ihn gebunden war, doch diese Verbindung bestimmte nun ihr Leben, und sie blieb – richtete sich in ihrem Hotelzimmer ein, so weit wie möglich von dem Betrieb der Kommandozentrale entfernt.
Zur Überraschung aller hatte der Rat mehrere PS -Mediale zur Verfügung gestellt, um die Gegend um den Ort, den man Bonners Platz 1 genannt hatte, zu durchkämmen. „Mit Psychometrie kann man Spuren aus der Vergangenheit erkennen“, erklärte Sophia Max, als er um eine Erklärung bat. „Normalerweise bestätigen sie Alter und Herkunft von Kunstwerken und anderen kostspieligen Objekten, aber man sagt, sie könnten auch Echos von Handlungen wahrnehmen.“
„Ich habe mal im Grundbuch nachgeschaut“, hatte Max ihr eröffnet, nachdem die PS -Medialen eingetroffen waren. „Das Land gehört einem medialen Konzern und soll als Baugelände erschlossen werden.“
Damit ergab das Ganze natürlich einen Sinn. „Sie wollen vermeiden, dass noch offene Fragen den Wert des Landes und der späteren Grundstücke schmälern.“
„Ist aber eigentlich auch egal, warum sie das tun. Tanique“ – eine der psychometrisch Begabten – „hat bereits zwei weitere Knochen etwa achthundert Meter von hier entdeckt.“
Das war eins der wenigen Gespräche gewesen, die sie in den folgenden, kräftezehrenden Stunden geführt hatten. In der letzten Nacht der Untersuchungen am Fundort – kurz nachdem die Nachricht gekommen war, dass im Umkreis von zwei Kilometern keine weiteren Beweise gefunden worden seien – war Sophia auf etwas Interessantes in Nikitas Fall gestoßen.
Sie hatte mithilfe ihrer Kontakte bei den J-Medialen die Hintergründe aller Zeugen in Nikitas Fall untersucht. Der aristokratisch wirkende Quentin Gareth war ein rücksichtsloser Geschäftsmann, hatte ansonsten aber eine saubere Weste. Im Gegensatz zu ihm ging Andre Tulane zu wöchentlichen Treffen, die keinem geschäftlichen Grund zuzuordnen waren,
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