Fesseln der Gewalt 1
ich stehe stets hinter den Ärschen und das reicht.“
„Ja, das reicht. Aber nur für die reine Triebbefriedigung, nicht aber für die Gefühle, von denen ich spreche.“
Die Unsicherheit, die sich in Servans Blick schlich, blieb mir nicht verborgen. Anscheinend hatte ich den kleinen Jungen, der sich nach genau diesen Empfindungen zu sehnen schien , erreicht.
„Man fickt, um abspritzen zu können. Das ist das Ziel und das erreiche ich j edes Mal, wenn ich mich in einen Arsch schiebe, oder etwa nicht?“, antwortete Servan beinahe trotzig.
Resigniert schüttelte ich den Kopf und seufzte auf. Offensichtlich wollte mich der andere nicht verstehen.
„Was ist? Du willst mir doch nicht ernsthaft erzählen, dass du in den Darkroom gehst, um dich umarmen und lieben zu lassen?“ Das Wort ‚ lieben ‘ wurde beinahe ausgespien, als ob es sich dabei um etwas Ekliges handeln würde.
„Du hast recht, im Darkroom geht es lediglich um den Akt, aber ich hatte auch schon einmal eine Beziehung, in der man sich küsst, streichelt und in den Armen hält, weil man einfach das Bedürfnis hat, den anderen so nahe als möglich an sich zu spüren. Weißt du überhaupt, wovon ich spreche, Servan?“
Die grauen Augen meines Gegenübers blickten mich zuerst verunsichert an, dann folgte Schmerz und… Sehnsucht. Ich konnte erkennen, wie meine Worte Früchte trugen und Servan begann, sich Gedanken zu machen.
„Nein, ich weiß nicht, wovon du sprichst, und ich will es auch gar nicht wissen.“
Ohne Vorwarnung trat der andere plötzlich wütend auf mich zu und nahm den Teller, den er neben mir abgestellt hatte, weg.
„Ans cheinend hast du keinen Hunger“, sagte Servan unwirsch und wandte sich ab.
„Du hast Angst, nicht wahr?“ Woher ich den Mut fand, meinen Peiniger zu provozieren, war mir schleierhaft, aber hier und jetzt sah ich die einzige Chance , den anderen aus der Reserve zu locken.
Ungehalten warf Servan den Teller in eine Ecke, wo dieser klirrend in zahlreiche Scherben zersprang, kam erneut auf mich zu und zog mich grob in die Höhe. Mit dem Gesicht lediglich ein paar Zentimeter von dem meinem entfernt flüsterte er gefährlich: „Ich habe ganz sicher keine Angst. Wovor denn? Man hat mir vor langer Zeit so viel Unaussprechliches zugefügt, dass es nichts mehr gibt, was man mir noch antun könnte.“
„Doch, du fürchtest dich davor zu erkennen, was dir all die Jahre entgangen ist“, erwiderte ich, legte ohne Umschweife eine Hand in seinen Nacken und zog ihn zu mir, um meine Lippen auf seinen Mund zu legen.
Einen Moment glaubte ich, er würde sich mir ergeben, doch dann stieß er mich mit aller Kraft von sich weg, sodass ich rückwärts auf die Pritsche fiel und mit voller Wucht den Kopf an der Wand anschlug. Benommen blieb ich liegen und nahm lediglich aus der Ferne Servans Stimme wahr, die auf mich einredete.
Starke Arme umfassten meinen schlaffen Körper und zogen mich an Servans Brust.
„Das wollte ich nicht. Du hättest mich nicht herausfordern sollen, verdammt nochmal.“
Endlich lichtete sich der Nebel in meinem Kopf und ich blickte auf, glaubte in den grauen Augen, die mich forschend musterten, tatsächlich Sorge zu erkennen.
„Ich will dir nicht weiter hin wehtun. Wenn alles klappt und dein Vater zahlt, dann haben wir es bald hinter uns, okay?“, erklärte er fast schon tröstend.
„Was aber, wenn mein Vater nicht zahlt? Was lässt dich glauben, dass ich dem Mann, der in vergangenen Jahren zu solchen Abscheulichkeiten fähig war, so viel bedeute, dass er deinen Forderungen – wie auch immer diese Aussehen mögen – nachkommen wird?“
„Er wird zahlen, Vinzent. Mag sein, dass er nicht zu tieferen Gefühlen fähig ist, aber er lässt sich auf keinen Fall etwas nehmen, das ihm gehört. Du bist sein einziger Sohn, für den er bereits Zukunftspläne geschmiedet hat. Glaub mir, er will dich unbedingt zurückhaben“, erklärte Servan und strich mir eine Haarsträhne aus der Stirn.
Die Zärtlichkeit, mit der er dies tat, verwunderte mich, zeigte mir jedoch auch, dass ich mich in der Einschätzung meines Peinigers nicht getäuscht hatte. Servan trug einen dicken Panzer aus Wut, Verachtung und Gewaltbereitschaft, um damit seinen weichen, verletzten Kern zu schützen. Plötzlich war ich mir einfach sicher, dass er mir keine weiteren Schmerzen mehr zufügen würde, oder vielleicht wollte ich es mir auch nur einreden.
„Lass mi ch dir zeigen, was Geborgenheit ist“, flüsterte ich und war selbst
Weitere Kostenlose Bücher