Fesseln der Leidenschaft
gewesen. Doch diese Worte gingen ihr gegen den Strich.
»Nein, in diesem Punkt sind Sie wirklich extrem einfältig, Fitz Hugh«, erklärte sie voller Verachtung. »Mein Wert ist wohlbekannt und macht Ihren Judaslohn unwesentlich. Clydon bringt in einem einzigen Jahr viermal soviel. Ihr Freund Rothwell weiß das, wenn es Ihnen auch entgangen ist. Er wird darüber lachen, wie wenig er zahlen mußte, um sich ein Vermögen und die dahinterstehende Macht zu ergaunern.«
Zur Strafe für diese Rede erhielt sie einen leichten Stoß, so daß sie rückwärts in das Zelt stolperte. »Sie haben fünf Minuten Zeit, sich anzuziehen, ehe das Zelt abgebaut wird. In zehn Minuten brechen wir auf.«
Mehr sagte er nicht, oder vielmehr: brüllte er nicht. Er überging völlig, was sie ihm klargemacht hatte. Er war wirklich ein tölpelhafter Bär, sowohl von der Größe wie auch von der Intelligenz her. Mein Gott, er hätte alles verlangen können, und sie hätte alles gegeben, um aus dieser Lage herauszukommen. Sein Verhandlungspotential war grenzenlos, da er Reina momentan in seinem Besitz hatte. Aber erkannte er das? Nein, alles, was er sah, waren die fünfhundert Münzen, die er verdienen würde, und unglücklicherweise war Geld das einzige, was Reina ihm nicht bieten konnte, dank ihres Vaters, der für König Richards Kreuzzug die Truhen geleert hatte.
12
Der Marsch an diesem Tag erschien Ranulf länger als gewöhnlich, obwohl die Gruppe recht gut vorankam, gemessen an der Tatsache, daß Rothwells Männer keine Pferde besaßen und Vorratskarren zu befördern waren. Ranulfs eigene Männer, dreißig an der Zahl, die ihn schon seit mindestens vier Jahren begleiteten, hatten Pferde. Diese Tiere hatte er vor langer Zeit günstig erstanden. Sie waren zwar nicht die besten oder jüngsten und bei weitem nicht so kostspielig wie die Rappen, die er Searle und Eric zu ihrem Ritterschlag geschenkt hatte, doch sie genügten den Ansprüchen der Männer. Die dreißig Tiere hatten Ranulf vier Monate Dienst bei einem nordländischen Pferdezüchter gekostet, doch eine berittene Gefolgschaft zu besitzen bedeutete die Voraussetzung, gewisse Jobs zu bekommen, bei denen Geschwindigkeit vonnöten war.
Normalerweise verging die Zeit für Ranulf schnell, wenn er im Sattel saß. Er pflegte über die gegenwärtige oder nächste Aufgabe nachzudenken oder sich die Zukunft vorzustellen, wenn er sein Ziel erreicht haben würde, ein eigenes Domizil, reiche Felder für dessen Unterhalt und persönliche Zinsbauern zu besitzen. Er hatte sich bei verschiedenen Gelegenheiten ein Wissen über Landarbeit, Tierzucht und freiherrliche Gesetze angeeignet, denn eine standesgemäße Erziehung war ihm nicht zuteil geworden.
Die ersten neun Jahre seines Lebens hatte er beim Dorfschmied verbracht, einem rohen Menschen, dem Ranulfs Mutter zur Frau gegeben worden war, nachdem sie Ranulfs Großvater gebeichtet hatte, sein Enkelkind unter dem Herzen zu tragen. Sie starb in dem Jahr nach Ranulfs Geburt, deshalb bekam der Schmied keine Entschädigung, nur ein Baby zur Aufzucht, das ihm nicht nützlich war, bis es groß genug sein würde, das Schmiedehandwerk zu erlernen. Dies geschah schneller als erwartet und bewies, daß Ranulf schon im zarten Alter überdurchschnittlich entwickelte Muskeln besaß.
Als uneheliches Kind des zukünftigen Lords bekannt zu sein, machte Fitz Hughs Schicksal härter, nicht leichter. Die Dorfjugend mied ihn, der Schmied lehnte ihn ab und ließ ihn arbeiten, bis er nachts fast umfiel, und sein Vater, selbst ein Jüngling von sechzehn Jahren bei Ranulfs Geburt, kümmerte sich nicht um ihn. Ranulfs vornehmer Großvater kam von Zeit zu Zeit vorbei, um die Entwicklung des Buben zu beobachten, doch er schenkte ihm nie ein gütiges Wort oder eine Spur familiärer Zuneigung. Der Vater des Jungen ließ sich kaum blicken, höchstens aus der Ferne.
Fitz Hugh begegnete seinem Vater erst an dem Tag, als man ihm sagte, er würde nach Montfort geschickt, um zum Ritter geschlagen zu werden. Diese Gunst wurde ihm auch nur zuteil, weil sein Vater zu dieser Zeit schon seit fünf Jahren verheiratet war, ohne einen legitimen Erben zu zeugen. Er hatte zwar noch einen zweiten unehelichen Sohn in die Welt gesetzt und zu seinem Erben gemacht, falls seine Ehe kinderlos bleiben würde, doch davon wußte Ranulf damals noch nichts. Viele Jahre hatte er geglaubt, er würde erzogen, um zu erben, und deshalb hatte er sich nie über das harte Los beklagt, das es bedeutete, einem
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