Fesseln der Leidenschaft
vorstellen, was es jetzt noch für ihren Mann bedeutete, wie sie nackt aussah. Er hatte keine Wahl mehr, den Vertrag als unrechtmäßig zurückzuweisen, wenn ihm ihr Körper nicht gefiel. Diese Chance hatte er vertan, indem er seiner Frau die Unschuld geraubt hatte. Warum brachte er sie dann mit dem Wunsch in Verlegenheit, sie solle sich ausziehen? Mochte er das, was er gesehen hatte? War er entsetzt? Wollte er nur eine Bestätigung, oder ärgerte er sich, weil er sich nicht erinnern konnte?
Daß er es für einen möglichen Traum hielt, sie genommen zu haben, empfand sie als schlimm und beleidigend. Mochte es auch nicht angenehm gewesen sein, so wünschte sie doch, eine Erfahrung mit ihrem Mann geteilt zu haben. Offenbar war es kein gemeinsames Erlebnis gewesen. Wenn sie geahnt hätte, daß Ranulf so betrunken war, daß er nicht wußte, was er tat, hätte sie ihn vielleicht abwehren können – aber vielleicht auch nicht. Jedenfalls war es geschehen, und jede Vermutung kam zu spät. Reina konnte nur eines tun: darüber nachgrübeln und dafür sorgen, daß Ranulf das nächste Mal nicht alkoholisiert war.
17
Ranulf blieb schweigsam, während seine Frau überschwenglich begrüßt wurde, bis die Leute merkten, wer sie im Arm hielt. Dem frischgebackenen Ehemann gefiel es nicht, daß so viele plötzlich verstummte Männer aus den Toren strömten und sich hinter ihm versammelten, um ihm den Rückweg abzuschneiden, doch er konnte es nicht verhindern. Tatsächlich verunsichert fühlte er sich erst, als er im inneren Hof eintraf, wo über hundert Soldaten und mindestens fünfzehn Ritter warteten, die teilweise ein Schwert, teilweise aber auch ihre volle Rüstung trugen. Immer mehr Männer kamen die Stufen des Wohntraktes heruntergeeilt. Offenbar hatten sie gerade erfahren, daß die Lady zurückgekehrt war.
»Seien Sie beruhigt, mein Lord«, sagte Reina leise zu ihm, als er sein Pferd zügelte und vor der kleinen Armee anhielt. »Das sind nur zwei meiner Vasallen mit ihren Rittern und Männern. Ich erzählte Ihnen doch, daß ich wegen des Angriffs nach Lord Simon geschickt hatte. Zweifellos nahm er auf seinem Weg hierher Sir John mit.«
»John – Ihren erhofften Verlobten?«
»Nein, meinen Vasallen, Sir John Radford. Er ist ein Mann mit festgefahrenen, unbeugsamen Ansichten. Sein erster Eindruck von Ihnen wird sich ihm unwiderruflich einprägen. Drei Ritter und zwanzig Soldaten gehören zu ihm. Die anderen sind Simons Leute. Ich sehe auch, daß Sir Meyer zurückgekehrt ist. Er ist der Garderitter, den ich ausgesandt habe, um meinem Verwalter zu helfen. Er und Sir Arnulph sind nun beinahe vier Jahre bei uns. Beide haben sich hervorragend bewährt, aber da sie zu den Gefolgsleuten zählen, wird es von Ihrer Entscheidung abhängen, ob ihre Verträge erneuert werden oder nicht.«
»Wollen Sie da nicht mitreden?«
»Es wäre schön, wenn Sie mich in Zweifelsfällen nach meiner Meinung fragen würden«, erwiderte sie, »aber – nein, die endgültige Entscheidung liegt von nun an bei Ihnen.«
»Und ist das Ihr Lord Simon, der mit der Hand am Schwert dahergestampft kommt?«
Reina zuckte vor seinem plötzlich aggressiven Ton zurück. »Ja, aber lassen Sie mich mit ihm verhandeln. Es wäre hilfreich, wenn Sie mich absetzen und Ihre Hände wegnehmen würden, damit man nicht denkt, ich sei noch Ihre Gefangene.«
»Ist das ein Befehl, Lady?«
»Ich würde mich nicht erdreisten, Ihnen Befehle zu erteilen, mein Lord.«
»Oho!« Er brummte. »Heute morgen in meinem Zelt – war das kein Befehl?«
Reina errötete. Ranulf stieg ab und stellte sie dicht vor sich auf den Boden. Er nahm sogar seine Hände weg.
»Lady Reina, Sie sind nicht verletzt?« fragte Simon sofort, als er die beiden erreichte.
»Nicht im geringsten«, erwiderte sie lächelnd. »Sie müssen wissen, Simon, es war ein großes Abenteuer, das mir Spaß gemacht hat.«
Die blauen Augen des Mannes blickten Ranulf nicht unfreundlich, aber auch nicht unbefangen an. Simon war ein Lord in mittleren Jahren, von robuster Gesundheit und Statur, doch nur mittelgroß, was hieß, daß er zu Ranulf aufschauen mußte – eine Tatsache, die kein Mann von Rang schätzte.
Während er Ranulf musterte, sagte Reina schnell: »Darf ich Ihnen Sir Ranulf Fitz Hugh vorstellen. Sir Ranulf – mein Lehensmann Lord Simon Fitz Osbern.«
Simon meinte zögernd: »Aber ist das nicht derjenige, der Sie … «
Sie schnitt ihm das Wort ab. »Das war alles ein Mißverständnis, Simon. Er
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