Fesseln der Leidenschaft
einmal nach unten begeben. Der Morgen dämmerte erst, aber einige Diener würden nun schon aufgestanden sein.
Die Fackeln im Korridor waren abgebrannt, und das Licht, das durch die Fensterschächte fiel, war kaum wahrnehmbar. Im Treppenhaus herrschte noch mehr Dunkelheit, aber Reina bewegte sich in diese Richtung. Der Boden war kalt, aber wenn sie sich auf die Stufen setzte, konnte sie wenigstens die Füße in ihr Nachthemd hüllen. Dabei hoffte sie, daß niemand auftauchen würde, denn es wäre ihr schwergefallen, irgendeine vernünftige Erklärung für ihr seltsames Verhalten zu finden.
Allmählich beruhigte sich ihr Atem, doch es dauerte ein wenig länger, bis sie das Durcheinander ihrer Gedanken wieder beherrschte. Da legte sie den Kopf auf die Knie und stöhnte.
Ich habe das nicht getan. Jesus, sag mir, daß ich nichts dergleichen getan oder gesagt habe.
Keine göttliche Stimme antwortete, und Reina stöhnte erneut. Ranulf mußte denken, daß er eine Schwachsinnige geheiratet hatte – und das war gar nicht so abwegig. Sie mußte verrückt gewesen sein, sich wegen nichts so aufzuführen. Gestern hatte sie Grund für eine Szene gehabt, oder es jedenfalls angenommen. Für das heutige Narrenstück gab es keine Entschuldigung. Eine Katze war also schlau genug, einen kleinen Krieg zu entfachen. Niemand würde das glauben. Sie selbst würde es bezweifeln, hätte sie nicht Lady Ellas besonderen Intrigenstil schon vorher kennengelernt. Jesus, jetzt suchte sie schon wieder idiotische Entschuldigungen.
Kein Mensch mit einem normalen Verstand würde einer Katze menschliche Motive unterstellen.
Reina mußte der Wahrheit begegnen: Sie war auf Lady Ella eifersüchtig – allerdings nicht grundlos. Das alberne Ultimatum, mit dem sie Ranulf konfrontiert hatte, bewies, daß ihm seine kostbare Katze mehr am Herzen lag als Reina, die nun hier auf der kalten Treppe saß, während das Vieh in einem warmen Bett verhätschelt wurde – in ihrem Bett.
Plötzlich erschrak Reina, als etwas an ihrem Schenkel vorbeistrich. Sie sah, wie ein kleiner, dunkler Schatten die Stufen hinunterhuschte. Lady Ella? Aber sie, Reina, hatte die Tür zum Vorraum geschlossen. Wie war es dann möglich …
Sie straffte sich, denn nun merkte sie, daß ihr Mann hinter ihr stand. Das war der Moment, sich zu entschuldigen, aber in ihrer Demütigung fand sie keine Worte. Es schien zur Gewohnheit zu werden, sich in Ranulfs Gegenwart zu erniedrigen, obwohl ihr kein Grund dafür einfiel. Diesmal war es allerdings am schlimmsten, und sie haßte es, sich vorzustellen, was ihr Mann gerade eben dachte.
»Kommen Sie freiwillig zurück, oder muß ich Sie tragen?«
Sie erhob sich und drehte sich um, damit sie ihn anblicken konnte. Sie sah nur seine Silhouette, nicht seinen Gesichtsausdruck. Auch seine leise Stimme verriet nichts.
»Was soll das bedeuten?« fragte sie zögernd.
»Es bedeutet, daß ich mich geschlagen gebe, kleiner General. Es wäre mir lieber, wenn Sie Lady Ella tolerieren würden, aber wenn Sie nicht können, dann können Sie nicht. In Zukunft soll sie bei Lanzo schlafen.«
Reina hätte großmütig sein und sagen müssen, daß sie es nicht ernst gemeint habe und er seine Katze behalten könne, wo er wolle. Aber sie hatte gesiegt – auch ohne Schuldgefühl seinerseits. Der Triumph war es wert, ohne Zugeständnis ausgekostet zu werden.
»Danke.«
»Wofür? Sie haben mir keine Wahl gelassen.«
Sie lächelte vor sich hin, denn das entsprach nicht ganz der Wahrheit. Er hätte sie genausogut gewaltsam zurückschleppen und ihr seinen Willen aufzwingen können – ungeachtet ihrer Gefühle.
»Sie sind nicht verärgert?«
Er antwortete nicht, sondern trat zur Seite, um sie vorbeizulassen. Und sie fand es besser, dankbar zu sein und die Angelegenheit nicht mehr zu erwähnen. Seine Stimme hatte nicht ungehalten geklungen, obwohl er Grund gehabt hätte, verstimmt zu sein. Üblicherweise schätzten Männer keinerlei Art von Ultimatum.
Im kalten Luftzug des Treppenhauses zog Reina ihr Nachthemd enger um sich und machte einen Schritt, da fühlte sie sich von Ranulfs Armen hochgehoben. »Ich dachte … «
»Seien Sie still«, unterbrach er sie. »Ich merke erst jetzt, daß Sie barfuß sind.«
Was sollte sie dagegen einwenden? Ihre Füße waren kalt. Ranulf war so vernünftig gewesen, Schuhe und Hosen anzuziehen, ehe er seiner Frau folgte. Seine Ritterlichkeit war unerwartet, aber schön. Reina wollte auch diese Freude auskosten, solange sie anhielt.
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