Fesseln der Sünde
Knöchel. Deformierte Fingernägel.
Was ihm angetan worden war, war obszön, unbeschreiblich, barbarisch. Sie wollte beim Anblick der Verletzungen am liebsten schreien, kratzen und um sich schlagen. Doch sie konnte nur weinen.
Um Himmels willen, diese endlosen Tränen mussten versiegen.
»Charis, ich möchte dein Mitleid nicht.« Seine Stimme war so tief wie ein unterirdisches Grollen.
Er verstand ihre Reaktion falsch. Mitleid war zu schwach, um auszudrücken, welche Verbrechen an ihm verübt worden waren. Was er ausgehalten hatte, überstieg jegliche Vorstellungskraft. Sie hatte das Gefühl, eine Axt würde ihr Herz zerspalten und nichts könnte es wieder zusammenschweißen.
»Ich bemitleide dich nicht.« Murmelnd würgte sie die Worte hervor.
Gideon schaute sie immer noch nicht an. »Ich glaube dir nicht.«
Mit einer ruckartigen Bewegung legte er seine andere Hand, die wie ihr Gegenstück gefoltert worden war, flach gegen das dunkle Holz der Tür. Doch als sie diese Hand dort sah, erkannte sie die Annmut und Schönheit, die sie einst besessen hatte.
»Liebster …« Diese verdammten Tränen, sie wollten einfach nicht aufhören zu fließen. »Es tut mir leid.«
Ihr fehlten die Worte. Was konnte sie überhaupt noch sagen? Nichts konnte auch nur im Ansatz beschreiben, was er durchgemacht hatte. Stattdessen tat sie das, was das Herz ihr befahl. Sie führte seine zerschundene Hand, die in ihrer lag, zu ihren Lippen.
Sie küsste die unebenen Knöchel leidenschaftlich. Es war ein Akt der Huldigung für das, war er hatte ertragen müssen. Es war ein Akt überwältigenden Schmerzes. Es war ein Akt der Dankbarkeit, dass er überlebt und sie sich so hatte in ihn verlieben können.
Die Hand unter ihren Lippen war warm. Seine beiden Hände sahen aus wie die eines Ungeheuers. Die Haut, die sie küsste, was zweifellos die eines Mannes.
Er war ganz still. Sein Zittern ließ nach. Er atmete nicht. Er sprach nicht. Sein Rücken war steif vor Anspannung. Läge seine warme Hand nicht in ihrer, könnte sie fast den Eindruck gewinnen, er wäre zu Stein geworden.
Es war empfindlich still, bis sie schließlich hörte, wie er schaudernd Luft holte. Die Hand, die sie hielt, ballte sich zu einer Faust. Er schöpfte noch einmal lang und angestrengt Atem.
»Ich hasse es, was sie mir angetan haben.« Seine Stimme war so leise, dass sie sich bemühen musste, ihn zu hören. Er sprach in Richtung Tür. »Ich hasse es, für immer mit Rangapindhi leben zu müssen.«
O mein Liebster.
Sie bemerkte seine Scham und seinen Schmerz. Ohne länger nachzudenken, drückte sie sich gegen seinen von Wundmalen übersäten Rücken.
Sie legte ihre erhitzte, feuchte Wange auf seine Haut und spürte die festen Muskeln und die erhabenen Narben.
Er zog die Schultern ein. Er war so erstarrt, als würde allein seine Willenskraft ihn aufrecht halten. Mitgefühl durchfuhr sie, das noch ergreifender war, weil sie es nicht ausdrücken konnte. Sie wartete in schmerzlicher Ungewissheit darauf, dass er sie beiseiteschob, sie beschimpfte, wegging. Doch er rührte sich nicht.
Ohne die Hand loszulassen, die sie geküsst hatte, hob sie ihre andere Hand, um sie flach auf seine an der Tür zu legen. Er zuckte unter ihrer Berührung ein wenig zusammen und wurde dann wieder still. Sie versuchte, ihn mit all ihrer Liebe zu durchdringen. Körperlich. Durch menschliche Wärme, von der er geglaubt hatte, sie bliebe ihm für immer versagt.
Sie wusste nicht, wie lange sie in wortloser Verbundenheit an ihn gelehnt dastand. Mit geschlossenen Augen überließ sie sich der Dunkelheit.
Nach einer ganzen Weile merkte sie, dass er sich regte. Sie öffnete die Augen und richtete sich auf.
Schließlich drehte er sich zu ihr um und zwang sie, eine seiner Hände loszulassen, doch sie hielt die andere weiter umklammert. Sie nahm all ihren Mut zusammen, um ihm ins Gesicht zu sehen, denn eisige Angst kroch ihren Rücken hoch.
Was würde sie in seinem Gesichtsausdruck lesen? Wut? Verachtung? Kälte, weil er die Schranken von Stolz und Distanz wieder aufgebaut hatte, die heute Nacht niedergerissen worden waren?
In seinem Gesicht lag ein tiefes Gefühl, das sie nicht bestimmen konnte. Sie starrte in seine glühenden Augen.
»Charis …«
Er sah aus, als hätte er seine Seele verloren. Der steinerne, trostlose Blick seiner Augen traf sie bis ins Mark.
»Es ist alles gut, Liebster.« Sie schlang ihre Arme um ihn, alles, um seine fürchterliche Einsamkeit zu mildern. Seine Muskeln
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