Fesseln der Sünde
bezaubernd, tapfer und wunderschön sie war. Er unterdrückte sie alle. Er hatte kein Recht, unschuldigen, jungen Mädchen Komplimente zu machen.
»Ich habe eine Großtante, die wäre über mein Verhalten entsetzt. Sie hat viel Zeit und Mühen in meine Erziehung gesteckt, um aus mir eine Dame zu machen.« Sarah zögerte, holte tief Luft und fuhr dann mit einer künstlich heiteren Stimme fort. Gideon wusste, dass sie verzweifelt versuchte, die knisternde Spannung zwischen ihnen zu lindern. »Ich war ein ziemlicher Wildfang, als sie mich aufnahm. Wissen Sie, da die Ländereien eines Tages alle mir gehören würden, erzog mich mein Vater wie einen Sohn.«
Trotz des wilden, tumultartigen Zustandes seines Kopfes, bemerkte Gideon, dass dies keinen Sinn machte. »Ist denn nicht Ihr ältester Bruder der Erbe gewesen?«
Über ihre lebhaften Gesichtszüge huschte Schuld. »Das Erblehen erlosch. Mein Vater …«
Ihre Schultern sackten ab, und sie fiel wieder in bekümmertes Schweigen. Gideon hatte schon vorher bemerkt, dass sie keine gute Lügnerin war. Er hingegen war das genaue Gegenteil - er hatte das Lügen gelernt, um sich gegen seinen gewalttätigen Vater zur Wehr zu setzen. Er hatte die Fähigkeit, eine Rolle zu spielen, perfektioniert, hätte das Aufdecken seiner wahren Identität doch zu seinem sicheren Tod geführt.
»Sie sind meine Stiefbrüder«, sagte sie mit kleinlauter Stimme. »Mein Vater starb, als ich sechzehn war …« Die Sonne schien hell auf ihr Gesicht, in dem sich ungeschminkte Trauer zeigte. »Meine Mutter heiratete noch einmal. Ihr zweiter Mann hatte zwei erwachsene Söhne, die mich vom ersten Blick an hassten.«
Gideon rückte näher, als müsste er sie selbst an diesem verlassenen Strand vor ihrer habgierigen Familie schützen. In seinem Kopf flackerte das heftige, unerbittliche Verlangen auf, jeden umzubringen, der sie bedrohte. Seine Stimme wurde durch seine überwältigende Wut rau. Endlich hatte sie ihr Geheimnis gelüftet. Endlich konnte er sich mit den Truppen auseinandersetzen, die sich ihm entgegenstellten. »Das sind die Schweine, die Sie geschlagen haben?«
»Ja.« Sarah hielt inne und fuhr dann für ihn hörbar widerstrebend fort: »Meine Mutter verstarb ziemlich bald nach ihrer Heirat mit meinem Stiefvater. Sie hatte keine glückliche Wahl getroffen. Ihr neuer Mann war ein Trinker, ein Spieler, ein Verschwender und von Beginn an offensichtlich untreu.«
Gideons Magen zog sich zusammen, als er den Schmerz sah, den sie so mühevoll zu verbergen versuchte. Wäre er ein ganzer Kerl, würde er sie in den Arm nehmen und trösten. Doch das war er nun mal nicht. »Haben Sie in dieser Höhle des Löwen gelebt, seit Sie sechzehn waren?«
Sarah schüttelte den Kopf und warf die Muschelschale mit einer angewiderten Handbewegung auf den Boden. »Für sie war ich nichts anderes als ein weiterer nutzloser Mund, der gestopft werden musste. Nach dem Tod meiner Mutter fuhr ich zu meiner Großtante nach Bath. Sie ist diejenige, die versuchte, mir Benehmen beizubringen.« Der trostlose Ausdruck in ihrem Gesicht verschwand, und wahre Zuneigung schwang in ihrem Lächeln mit. »Großtante Georgiana war entschlossen, für mich eine hervorragende Partie zu finden. Während der Saison ist das gesellschaftliche Treiben in Bath sehr groß.«
»Ich bin mir sicher, es hat Ihnen an Verehrern nicht gefehlt. « Wie absurd, auf diese unbekannten Männer, die mit ihr geflirtet und getanzt hatten, eifersüchtig zu sein.
Sie zuckte mit den Schultern, schaute auf die Wellen und wurde rot. Er studierte ihr Profil. Diese Männer hatten genau dasselbe gesehen, was er jetzt sah. Unschuld. Großzügigkeit. Schönheit. Und eine frische, duftende Sinnlichkeit, von der er sich so angezogen fühlte wie eine Biene von einer Sommerwiese.
Gideon hatte geglaubt, weiblichen Reizen gegenüber immun zu sein. O Gott, schon das bloße Berühren einer anderen Haut ließ ihn zittern wie ein Blatt im Wind. Doch dieses Mädchen verhieß eine solche Leidenschaft, der selbst er nicht widerstehen konnte.
Sie begann, den Strand hinaufzugehen. Schweigend schloss er sich ihr an, erfreut zu sehen, dass sie sich auf diesem flachen Boden sicherer bewegte.
»Mein Stiefvater stürzte die Treppe hinunter und brach sich das Genick.« Ihr Ton wurde tiefer vor Verachtung, und ihre Hände verfingen sich in ihren Röcken. »Meine Stiefbrüder erbten nichts weiter als erdrückende Schulden. Und was sie als meine im Testament bestellten Vormünder
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