Fesseln des Herzens
abzeichnete. »Seine Frau ist jung und schön. Was will er mehr?«
Die Kammerfrau lachte auf. »Ja, Aimee, du magst recht haben. Doch sei’s drum. Ich sage dir, dass der Baron dich ausgewählt hat, ist eine Ehre, die sicher keinem zweiten seiner Untertanen zuteilwerden wird. Sei also dankbar dafür und benimm dich anständig.«
Die Schäferin nickte.
»Nun werde ich dir Wasser bringen lassen, damit du dich baden kannst. Dort in dem Schrank hängen ein paar Gewänder. Das schwarze ist für die Kirche, unter den anderen kannst du dir eines für die Feier aussuchen.«
Mit diesen Worten verschwand sie, und Aimee blieb allein in dem Gemach zurück.
Ein wenig ratlos blickte sie sich darin um. Die Einrichtung war wirklich prächtig. Das Bett verfügte ebenfalls über einen Baldachin, den mehrere schlanke, mit filigranen Schnitzereien verzierte Säulen trugen. Auch einen Kleiderschrank und ein Schreibpult gab es hier, und unterhalb eines Silberspiegels stand eine Truhe, wie Aimee sie noch nie zuvor zu Gesicht bekommen hatte.
Andererseits wirkten die vielen Gegenstände in diesem Raum beengend. In meinem Turm habe ich mehr Platz, dachte die Schäferin. Wenn ich mich hier im Kreis drehe, muss ich fürchten, irgendwo anzuschlagen.
Erst jetzt wurde sie sich der Stille bewusst, die sie hier einhüllte. In den Quartieren der Dienstboten konnte man das Gewimmel auf dem Hof hören, hier hinauf drang dagegen kein Laut.
Aimee legte ihr kleines Bündel auf das Bett und ging zum Fenster. Sie lehnte sich über den Sims, um die klare Morgenluft einzuatmen. Die aufgehende Sonne malte Feuer auf ihr blondes Haar, doch der rote Schein verging wieder, je mehr das Licht an Kraft gewann.
Das Treiben auf dem Burghof war interessant. Aimee beobachtete die Küchenjungen, die mit Körben voller Hirse, Kohl und Gemüse zum Küchenhaus liefen, und sah Mägde, die zu zweit eine Holzstange trugen, auf der gerupfte Täubchen aufgereiht waren. Selten hatte sie so viele Menschen auf einem Haufen gesehen. Das Tauffest würde prächtig werden, vielleicht das prächtigste Fest, das Aimee jemals miterleben sollte.
Schließlich war es Zeit, sich für den Kirchgang vorzubereiten.
Aimee badete zunächst in dem kleinen Zuber, was ungewohnt für sie war, denn für gewöhnlich sprang sie in den See gleich neben ihrem Haus. Danach kleidete sie sich in Ruhe an.
Das Unterhemd war aus einem feinen Gewebe, und im ersten Moment fühlte es sich seltsam kühl auf ihrer Haut an. Dann nahm sie das Kleid aus dem Schrank. Es war im Gegensatz zu jenen, die daneben hingen, recht einfach geschnitten, bestand jedoch aus einem glänzenden Gewebe, dessen Namen sie nicht kannte. Aimee hielt es gegen ihren Körper und betrachtete sich in dem Silberspiegel, der neben dem Bett angebracht war. Ein wenig verzerrte er ihr Bild, doch sie konnte sich darin gut erkennen. Irgendwie wirkte sie auf einmal ganz anders, gar nicht mehr wie Aimee die Schäferin. Aus dem Spiegel heraus blickte sie vielmehr eine Dame an. Ich gehöre nicht hierher, dachte sie. Dies hier ist nicht meine Welt.
Auch die Schnürung des Kleides, das sie schließlich überwarf, schien nicht ihre Welt zu sein. Sie war es gewohnt, ihr Mieder vor der Brust zu schnüren, dieses Kleid dagegen wurde auf dem Rücken verschlossen. Auf den Gedanken, eine der Mägde zu rufen, kam Aimee nicht. Sie war doch keine Baronin! Mit verrenkten Armen nestelte sie an den Bändern.
Als sie endlich fertig war, öffnete sie ihr Bündel. Es enthielt einen Kamm aus gebleichten Knochen, einige kleine Spangen, die ihr einst ein fahrender Händler geschenkt hatte, und ein kleines Fläschchen – die einzige Kostbarkeit in ihrem Reisegepäck. Sie öffnete den Stöpsel und atmete den entströmenden Duft tief ein.
Das Öl hatte sie aus den Blütenblättern ihrer eigenen Rosen gewonnen und mit etwas Rosmarin und wildwachsendem Lavendel versetzt. Wenn sie daran roch, sah sie die Wiese vor sich und die Rosen, die ihrem Turm umrankten. Der vertraute Duft gab ihr das Selbstvertrauen zurück.
Gerade als sie versuchte, ihre Locken zu bändigen, öffnete sich hinter ihr die Tür.
Aimee war derart in die Beschäftigung versunken, dass sie zunächst nicht mitbekam, wie jemand hinter sie trat.
»Lass dein Haar doch so, wie es ist, Aimee«, sagte eine Männerstimme.
Der Baron!
Die Schäferin wirbelte herum und wurde abwechselnd bleich und rot. Mit einem ihrer weiten Ärmel warf sie das kleine Fläschchen mit dem Rosenöl von dem Tisch, doch die
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