Fesseln des Herzens
Hand des Barons schoss vor und fing es, bevor es auf den Boden fallen konnte.
»Mylord, verzeiht, ich habe Euch nicht bemerkt«, sagte sie und verneigte sich.
Als er ihr bedeutete, dass sie sich wieder erheben konnte, blickte Aimee ihm direkt ins Gesicht und musste zugeben, dass Celeste recht gehabt hatte.
Er hatte sich verändert! Die hageren Wangen hatten sich gerundet, und es schien gar, als habe sich der Blick seiner grauen Augen ein wenig erwärmt. Sein Haar war kürzer, es reichte jetzt nur noch bis auf seine Schultern.
Ravencroft war bereits angekleidet. Unter seinem langen Wams trug er ein weißes Hemd, seine roten Beinkleider schmiegten sich eng an seine wohlgeformten Beine, und am Leibgurt trug er einen edelsteinverzierten Dolch. Seine Füße steckten in Schuhen aus feinem braunem Leder, deren Spitzen sich leicht nach oben bogen.
George of Ravencroft bedachte die Schäferin mit einem Lächeln und betrachtete dann das Fläschchen in seiner Hand. Ein paar Tropfen der duftenden Flüssigkeit waren über seine Haut geflossen, und unter der Wärme des darunter pulsierenden Blutes entfaltete sich der Duft.
Er hielt sich die Flasche unter die Nase, schloss die Augen und roch daran.
»Woher hast du das?«, fragte er dann.
»Ich habe es aus den Blütenblättern meiner Rose gewonnen«, antwortete Aimee und senkte den Blick. Das Blut pochte heftig in ihren Schläfen und Wangen.
Ein bewundernder Ausdruck schlich auf sein Gesicht. »Und wie?«
»Ich sammle die Blüten, nehme das Fett jenes Schafes, das mir für meine Hirtendienste zusteht, und bestreiche sie damit. Nach einer Weile ist der Duft der Blüten in das Fett eingezogen, und ich kann es durch Tücher pressen. Viel Öl bekommt man nicht, aber wenn man es sachte verdünnt, hat man lange etwas davon.«
Das Lächeln des Barons verbreiterte sich.
Erst jetzt fragte sich Aimee, was er überhaupt hier wollte. War sie bereits zu spät?
»Wer hat dir dieses Wissen vermittelt?«, wollte Ravencroft wissen.
»Mein Vater«, antwortete sie. »Bevor er nach Ravencroft kam, zog er als wandernder Geselle durch das Normannenreich bis nach Messina, der Kreuzfahrerstadt. Von einem Muselmanen lernte er das Erzeugen von duftenden Ölen. Dieses Wissen nutzte er, um Öle für meine Mutter herzustellen. Wenn man den Duft von Minze in Öl bannt, kann man damit gebärenden Frauen helfen.«
Ravencroft war beeindruckt. Aimee war eine gute Hebamme und für eine Schäferin ungewöhnlich klug. Dass sie sogar Künste aus dem Land der Muselmanen kannte, hätte er nicht erwartet.
»Mir scheint, du bist eine gescheite Frau, Aimee«, sagte er und stellte die Flasche zurück auf das Tischchen. »Eigentlich bin ich gekommen, um dich zu meiner Gemahlin zu bitten. Ich hätte einen Diener schicken können, aber ich wollte es mir nicht nehmen lassen, vor der Taufe noch einmal mit dir zu sprechen. Es hat sich gelohnt, sonst hätte ich all das nicht über dich erfahren.« Er stellte sich neben den Spiegel und betrachtete sie.
Aimee fühlte sich beklommen. Noch nie hatte ein Mann so viel Interesse für sie gezeigt.
»Fahre fort mit deinem Haar.«
Mit zitternden Händen löste die junge Frau die Spangen aus ihrem Haar und ließ es offen über ihre Schultern fallen.
Der Baron nickte zustimmend. »So ist es besser, Aimee, lass es so.«
Er ging einige Schritte und stellte sich hinter sie, um sie im Spiegel betrachten zu können. »Wenn du erlaubst, werde ich deine Schönheit vervollkommnen.«
Aimee nickte zwar, aber ihr Körper spannte sich, als sie sah, dass er das Fläschchen ergriff und sich damit ihrem Hals näherte.
Bevor es ihr eingefallen wäre zurückzuweichen, strich er ihr Haar nach hinten und tropfte etwas Öl auf ihren Hals. Dabei neigte er den Kopf leicht vor, und sein Haar berührte ihre Wange und ihre Schulter.
Aimee erstarrte, als sein Atem über ihre Brüste strich. Ein unbekannter Schauer durchzog ihren Leib und bündelte sich pochend in ihrem Schoß.
Der Baron bemerkte es sofort. Gewiss hätte ihn nichts davon abhalten können, sie aufs Bett zu ziehen und sie dort zu nehmen. Trotzdem stellte er die Flasche wieder ab und bedeutete ihr mitzukommen.
»Die Baronin erwartet dich.«
Nicole stand vor dem Fenster ihrer Kemenate und blickte missmutig auf den Hof. Sie hatte das Kindbett hinter sich, aber die schwere Geburt hatte ihre Spuren hinterlassen.
Seit Tagen hatte sie es vermieden, sich im Spiegel oder in der Fensterscheibe zu betrachten, weil sie dann die dunklen
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