Fesseln des Herzens
sein.
»Ja, es geht ihm wieder einigermaßen gut.«
Die junge Schäferin wusste nicht, ob sie ihn darauf ansprechen sollte, doch dann wagte sie einen Vorstoß. »Die Frauen in der Küche haben erzählt, dass Ihr Euch mit ihm aussöhnen wolltet. Weshalb habt Ihr Euch verstritten?«
Henry zog überrascht die Augenbrauen hoch. Einen Moment schwieg er irritiert, dann antwortete er: »Es ging darum, dass ich in die Dienste des Barons getreten bin. Für jeden anderen Vater wäre das eine große Ehre gewesen, mein Vater hätte es dagegen lieber gesehen, wenn ich seinen Hof übernommen hätte. Aber die Plackerei auf dem Feld war nichts für mich. Ich habe lieber Stahl in der Hand und verteidige meinen Herrn.«
»Das ist alles?«, hakte Aimee nach.
»Nun ja, wir haben uns gestritten, ein Wort gab das andere, dann jagte er mich aus dem Haus. In meinem Stolz habe ich nicht mehr mit ihm reden wollen.«
»Aber das ist jetzt bereinigt?«
Henry nickte. »Ich denke schon. Jedenfalls hat er mich diesmal nicht davongejagt.«
Wiederum klang er unsicher. Offenbar war doch noch nicht alles bereinigt. Aber das ging sie eigentlich gar nichts an.
Aimee band den Beutel los, den sie zuvor an ihrem Kleid befestigt hatte für den Fall, dass sie noch einmal auf Henry traf.
»Auch wenn Euer Vater auf dem Wege der Besserung ist, solltet Ihr ihm vielleicht diese Kräuter hier bringen. Ich wollte sie Euch schon beim ersten Mal mitgeben, aber als ich davon erfahren habe, wart Ihr schon weg.«
Henry blickte verwirrt auf den Beutel.
»Nehmt ihn ruhig«, ermutigte ihn Aimee. »Euer Vater freut sich bestimmt, wenn Ihr ihn erneut besucht.«
Nach kurzem Zögern nahm der Hauptmann die Gabe endlich an.
»Hab Dank, Aimee.«
»Richtet ihm meine Grüße aus und dass er jederzeit mehr bekommen kann, wenn sie ihm guttun.«
Damit wandte sich die Schäferin um.
Henry blickte ihr hinterher. Was hat sie nur mit diesem Gespräch bezweckt?, fragte er sich misstrauisch und zog dann den Beutel auf. Er enthielt tatsächlich nur Kräuter. Kleine Sträußchen, die feinsäuberlich mit Nähgarn zusammengebunden waren. Dann fiel ihm ein, dass dies der ideale Vorwand war, ein zweites Mal aus der Burg zu reiten und sich mit dem Boten zu treffen.
Von brennendem Verlangen geplagt, lag Aimee nachts auf ihrer Schlafstätte und blickte zum Fenster hinaus, wo der Mond stumm seine Bahn um die Burg zog.
Zu gern hätte sie den Baron noch einmal gesehen, ja, sie wünschte sich in diesem Augenblick, dass er durch die Tür kommen und sie einfach lieben würde.
Aber die Tür blieb verschlossen, und die Geräusche in der Burg verebbten zusehends.
Nach der Wachablösung um Mitternacht wurde es still, nur das Rufen der Käuzchen, die auf die Jagd gingen, hallte über den Burghof.
Gerade als Aimee ins Reich der Träume hinüberdämmern wollte, ertönte Hufschlag.
Das wird Henry sein. Sicher bringt er seinem Vater die Kräuter.
Doch dieser harmlose Gedanke wurde sofort von einem anderen verdrängt, als ihr wieder die Begegnung zwischen Henry und der geheimnisvollen Frau in den Sinn kam.
Vielleicht will er auch den Boten treffen, von dem er gesprochen hat. Nur, was für ein Bote soll das sein? Einer, der Kunde aus Woodward bringt? Nicht umsonst hat der Baron die Bemerkung mit den Wölfen fallenlassen. Gab es etwa einen berechtigten Grund zur Unruhe?
Noch eine ganze Weile lauschte sie dem Hufschlag, ohne eine Antwort zu finden.
Als das Geräusch verklungen war, drängte sie ihre Gedanken beiseite und versank in einen tiefen Traum, in dem nicht nur Ravencrofts Küsse vorkamen, sondern noch andere sündige Dinge, die ihren Körper in Lust verglühen ließen.
Der Grenzstein zwischen Woodward und Ravencroft lag im morgendlichen Nebel. Henry sah taubenetztes Gras und Büsche an sich vorbeiziehen, während ein paar Vögel in den Baumkronen zwitscherten.
Das Stampfen der Pferdehufe unter ihm erschien Henry überlaut, und er blickte sich immer wieder um, um sicherzugehen, dass ihm niemand gefolgt war.
Aimees Beutel hatte er in der Burg gelassen, denn die Kräuter waren nur der nötige Vorwand gewesen. Der Baron hatte es ihm sofort erlaubt, sie seinem Vater zu bringen. Der Wachmann war sicher, dass niemand Verdacht schöpfte.
Am Treffpunkt angekommen, brachte er sein Pferd zum Stehen und stieg ab. Noch war von Woodwards Mann nichts zu sehen.
Hatte es sich der Baron am Ende anders überlegt?
Fellows begann unruhig auf und ab zu gehen, wobei sein Blick immer wieder auf
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