Fesseln des Herzens
aufgehört, und die zerfetzten Wundränder hatten sich ein wenig zusammengezogen. Nachdem Aimee den Sud gemischt hatte, wusch sie die Wunde damit ab und verband sie.
Jetzt konnte nur noch die Zeit zeigen, ob das Wundfieber einsetzte oder nicht.
Zwei Stunden später ritt Fellows in Richtung Rosenturm. Er hatte so lange mit seinen Männern den Wald durchkämmt, auf der Suche nach dem Attentäter. Nun wollte er wissen, wie es um den Baron stand.
Henrys Innerstes krampfte sich zusammen, und er hatte Mühe, mit seinen schweißfeuchten Händen die Zügel zu halten.
Seine Sorge, die ihn wie eine eiternde Wunde plagte, war allerdings nicht die, ob Ravencroft gestorben war. Er fürchtete vielmehr, dass er überlebt haben könnte.
Woodwards Männer mögen sich vielleicht gut im Wald verstecken können, ging es ihm durch den Sinn, aber sie sind lausige Schützen. Was sollen wir tun, wenn er überlebt?
Schon von weitem erblickte Henry Aimees Turm, der sich wie ein uralter Wächter in den Nachmittagshimmel erhob. Davor standen die Pferde des Barons und von St. James.
Als er vor der Tür des Gemäuers angekommen war, zügelte er sein Pferd und sprang aus dem Sattel. Der süße Rosenduft erfüllte seine Sinne und ließ ihn sogleich wieder an Nicole denken. Sicher erwartete sie bereits sehnsüchtig den Ausgang der Jagd. Er hatte ihr mitgeteilt, dass das Attentat heute stattfinden sollte, aber sie hatte Zweifel daran gehabt, dass es gelingen würde.
Den Schuss hatte der Schütze jedenfalls anbringen können. Was danach geschehen war, würde er gleich sehen.
Als Fellows die Tür öffnete, kam ihm Aimee bereits entgegen. Ihr Kleid war blutverschmiert, und gerade trocknete sie ihre Hände an einem Tuch ab, das ebenfalls Blutspuren aufwies.
»Henry, Gott sei Dank, Ihr seid da!«, rief sie aufgeregt, während sie das Tuch in den Händen knetete. »Wart Ihr schon im Schloss? Ist der Schütze gefasst worden?«
Der Leibwächter beobachtete, dass ein Zittern durch ihren Körper rann. Ihre Gesichtszüge wirken erschöpft, und ihre Augen glänzten, als würde sie jeden Augenblick wieder zu weinen beginnen. Die Tränen, die sie bisher geweint hatte, hatten schmutzige Schlieren auf ihren Wangen hinterlassen.
»Nein, bisher nicht«, antwortete er kopfschüttelnd. »Wie geht es dem Baron?«
Aimee wandte sich um, als könnte ihr Blick die Treppe und die Zwischendecke durchdringen.
»Hat er es überstanden?«, hörte sie Fellows fragen, worauf sie sich ihm wieder zuwandte und nickte.
»Ich habe mit Hilfe von Saint James den Bolzen entfernt, aber sein Zustand ist sehr schlecht. Die Waffe war verunreinigt, ich kann daher nicht ausschließen, dass der Baron Wundfieber bekommen wird.«
Henry hoffte nur, dass es ihm in diesem Augenblick überzeugend gelingen möge, Erleichterung darüber zu mimen, dass Ravencroft den Angriff überlebt hatte. Die Unruhe in seinem Herzen wuchs.
»Beten wir zu Gott, dass dem nicht so ist«, sagte er zerstreut.
»Das werde ich tun. Wollt Ihr einen Blick auf ihn werfen, damit Ihr der Baronin berichten könnt?«
Henry nickte und folgte Aimee die Treppe hinauf. Dabei bemerkte er, dass sie sich kaum noch auf den Beinen halten konnte. Offenbar hatte sie all ihre Kraft dafür aufgewendet, Ravencroft zu retten.
Der Baron lag mitten im Raum auf zwei Strohsäcken. Sein Gesicht war immer noch leichenblass, und sein Atem ging so leise, dass man meinen konnte, sämtliches Leben wäre bereits aus ihm gewichen. Auf dem Boden neben ihm waren überall Blutflecken, Aimee war wohl gerade erst fertig geworden.
Nicolas St. James saß in einer Ecke des Raumes und war gerade dabei, sein Jagdmesser zu säubern. Als er den Hauptmann erblickte, schnellte er in die Höhe.
»Ist schon gut«, sagte Fellows und trat an das Krankenlager des Barons.
St. James ließ sich wieder auf seinen Stuhl sinken.
»Er hat sehr viel Blut verloren, daher die Blässe«, bemerkte Aimee, als könnte sie einen Teil seiner Gedanken lesen. »Aber sobald er wieder bei Bewusstsein ist, werde ich ihm einen Trank bereiten, der das Blut nachbildet.«
»Was, wenn er Fieber bekommt?«
»Auch dafür gibt es Kräuter, wenn es nicht gerade das Wundfieber ist. In dem Fall kann nur noch der Chirurgus helfen.«
Henry betrachtete den Baron einen Moment lang. Auch jetzt noch strahlte er eine Stärke aus, die keinem anderen Mann, den er kannte, zu eigen war.
Dass er Ravencroft noch immer bewunderte, beunruhigte Fellows zutiefst. Hatte er vielleicht die falsche
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