Fesseln des Herzens
vor den Mund presste. Klagend tönte er den beiden Männern entgegen, während sie am ganzen Leib erzitterte.
»Aimee!«, rief der Soldat, der Ravencroft gerade aus dem Sattel half.
Sie hatte ihn bisher nur flüchtig im Gefolge des Barons gesehen, wusste aber, dass er Nicolas St. James hieß.
»Du musst ihm helfen! Ein Bolzen hat ihn getroffen!«
Auf diese Worte stürzte die Schäferin zu ihnen.
»Mylord?«, fragte sie zitternd und strich dem Baron über die vor Schweiß glänzende Stirn.
Als er ihre Stimme vernahm und ihre Berührung spürte, wandte er den Kopf zur Seite und sah sie mit schmerzverzerrter Miene an. »Aimee«, stöhnte er leise, dann verließ ihn erneut das Bewusstsein.
St. James hatte Mühe, ihn aufzufangen.
»Jemand hat auf ihn geschossen«, erklärte der Soldat, während er den leblos wirkenden Körper durch die Tür in ihr Zuhause schleppte. Der Aufstieg ins Turmzimmer kostete beinahe seine ganze Kraft, und Aimee fragte sich, warum nicht mehr Männer mitgekommen waren, um ihm zu helfen.
Als St. James seinen Herrn auf den Tisch in der Mitte des Raumes legte, sah Aimee, dass in Ravencrofts linker Schulter ein Armbrustbolzen steckte.
»Er hatte Glück, dass er sich in dem Moment, als das Geschoss auf ihn zukam, bewegt hat. Sonst hätte der Bolzen sicher den Weg in sein Herz gefunden.«
Aimees Kehle krampfte sich zusammen, und ihre Hände begannen zu zittern, denn der Baron war bereits jetzt so bleich wie ein Toter. Bitte, lieber Gott, lass ihn weiterleben, dachte sie aufschluchzend, drängte dann aber die Tränen zurück.
»Wer hat das getan?«, fragte sie atemlos.
»Wir wissen es nicht«, entgegnete St. James. »Als wir endlich einen Wolf gesichtet hatten, haben wir unsere Armbrüste bereitgemacht. Da kam auch schon der Bolzen.«
»Wo sind die anderen jetzt?«, fragte Aimee. »Wo ist Fellows?«
»Auf der Suche nach dem Attentäter. Die Männer sind gleich losgelaufen, vielleicht haben sie den Mistkerl bereits. Bitte, Aimee, rette den Baron.«
Die Schäferin nickte, dann öffnete sie vorsichtig Ravencrofts blutdurchtränktes Wams. Mit Hilfe des Soldaten zog sie ihm den Ärmel herunter und riss vorsichtig das Hemd um den Bolzen herum auf.
»Das Geschoss muss aus der Wunde«, sagte sie mit zitternder Stimme. Ihre Finger waren grabeskalt. »Kann es sein, dass der Bolzen Widerhaken hat?«
»Ja, das hat er. Fellows hat bereits erfolglos versucht, ihn zu entfernen.«
Aimee nickte erneut und warf ein paar Holzscheite in die Glut der Feuerstelle, ehe sie St. James einen Wasserkessel in die Hand drückte.
»Nicht weit vom Turm entfernt ist ein Brunnen.«
Der Soldat nickte, und während er das Turmzimmer verließ, wandte sich die Schäferin wieder der Feuerstelle zu. Wenn sie die Wunde ausbrennen wollte, mussten die Flammen die richtige Temperatur haben.
Wenig später kehrte St. James mit dem Wasser zurück. Aimee zuckte erschrocken zusammen, als sie ihn durch die Tür kommen hörte, denn sie hatte all ihre Sinne auf Ravencroft gerichtet gehabt. Ihr Innerstes zitterte, als sei sie von einem Schneesturm erfasst worden, und die Sorge ließ ihr Herz rasen.
Ich muss mich zusammennehmen, dachte sie, während sie versuchte, nicht erneut in Tränen auszubrechen. Von der Ruhe meiner Hände hängt Ravencrofts Leben ab.
»Wohin soll das Wasser?«, fragte St. James nun und riss sie damit aus ihren Gedanken.
Aimee wies ihn an, den Kessel an den Haken über dem Feuer zu hängen, dann zog sie mit zitternden Händen den Dolch des Barons unter ihren Kleidern hervor.
Eigentlich hätte ich mich damit verteidigen sollen, ging es ihr durch den Sinn. Wird er jetzt reichen, um sein Leben zu bewahren?
»Woher hast du die Waffe?«, fragte St. James staunend.
»Der Baron hat sie mir geschenkt, damit ich mich auf dem Weg zwischen Turm und Burg verteidigen kann, falls es nötig ist.«
Aimee untersuchte die Wunde und bewegte vorsichtig den Bolzen. Wenn sie ihn jetzt einfach aus dem Fleisch riss, bestand die Gefahr, dass ihr Herr verblutete.
»Ich brauche einen zweiten Dolch zum Ausbrennen der Wunde«, erklärte die Schäferin dem Soldaten und ließ sich seinen Hirschfänger reichen.
Sie legte die Klinge ins Feuer und wusch ihren eigenen Dolch in dem mittlerweile angewärmten Wasser. Dann trat sie neben den Verletzten und schnitt direkt neben dem Bolzen in die Haut. Blut benetzte ihre Finger, doch sie beachtete es nicht weiter. Nach einer Weile hatte sie mit dem Dolch die Wunde so vergrößert, dass es ihr
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