Feuer / Thriller
einfach erwachsen werden.«
»Und das bist du auch«, sagte sie, und ihr Blick war noch immer durchdringend. »Ich weiß, wie gut Max deine Hilfe getan hat. Du bist nach nur einem Semester vom College gegangen und hast deinen Traum von der Sportkarriere aufgegeben, damit er wieder auf die Beine kommt.«
Am liebsten wäre er bei der Lüge, die sie für die Wahrheit hielt, zusammengezuckt, aber er tat es natürlich nicht. Er war schon vor dem Unfall seines Vaters vom College gegangen, aber das wusste seine Mutter nicht. Er hatte nur noch schlechte Noten bekommen, weil er sich nicht auf seine Studien hatte konzentrieren können, denn durch die Bilder in seinem Kopf, die sich nicht mehr hatten verdrängen lassen, hatte er kaum noch schlafen können. Seinen Bruder zu pflegen und ihm langsam zurück ins Leben zu helfen hatte es ihm ermöglicht, zu überspielen, was für ein Versager er wirklich war.
»Er brauchte mich«, brachte er hervor. Seine Kehle war plötzlich wie aufgerauht, seine Brust schmerzte. Er hatte nie verstanden, wie manche Menschen sich an eine Lüge gewöhnen konnten. Selbst nach achtzehn Jahren drohte sie ihn noch immer innerlich zu zerreißen.
»Ja.« Seine Mutter musterte ihn noch immer, und der Drang, sich unter ihrem Blick zu winden, war stark. »Das erklärt aber immer noch nicht, warum du dir meistens Schutzhäuser für Frauen und Wohltätigkeitsorganisationen suchst. Du hast ja schon deine Zeit damit verbracht, bevor du Dana kennengelernt hast. Du hast immer geschuftet, immer anderen geholfen.«
»Das ist doch eine gute Aufgabe.«
»Sicher. Wenn es eine Aufgabe ist. Aber für dich ist es mehr.« Sie seufzte. »David. Ich war am Boden zerstört, als dein Vater starb, und alles, was sonst noch in dieser Zeit geschehen ist, ist verblasst. Dennoch ist mir irgendwann klargeworden, dass deine Neigung, dich zu engagieren, keinesfalls nur eine vorübergehende Leidenschaft oder ein großartiges Hobby ist. Es ist dein Lebenszweck und erlaubt dir keinen Spielraum für Dinge, die Erwachsene normalerweise tun. Keine Freundin, niemand, der in deinem Leben eine wichtige Rolle spielt. Ich habe versucht, herauszufinden, seit wann du so bist. Ich habe an dieses eine Jahr gedacht. Und dann fiel es mir wieder ein. Im Frühling, bevor dein Vater starb, hat es in unserer Gegend eine Tragödie gegeben.«
Eine Tragödie. O ja, das war es gewesen. Eine Tragödie, die vollkommen hätte vermieden werden können, wenn er nicht nur auf sich selbst geachtet hätte. Er sagte nichts. Er war sich nicht sicher, ob seine Stimme etwas hervorbrachte.
»Eine Freundin von dir ist gestorben«, sagte sie leise. »Megan hieß sie, nicht wahr?«
Er schluckte. Nickte.
»Ihr Stiefvater war ein Ungeheuer«, fuhr sie murmelnd fort.
Er schluckte wieder, als er die Szene einmal mehr deutlich vor sich sah. »Ja«, flüsterte er.
»Er hat seine ganze Familie getötet. Ich weiß noch, wie erschüttert wir alle waren. Niemand konnte fassen, dass dieser Mensch zu so einer Tat fähig war. Ich habe aber nie darüber nachgedacht, wie sehr Megans Tod dich belastet haben muss, und das hätte ich unbedingt tun müssen. Ihr zwei wart in der Junior High zusammen, richtig? Es tut mir leid, David. Ich war in der Zeit nach dem Tod deines Vaters so mit mir beschäftigt … und du warst so stark, so zuverlässig. Ich habe einfach nicht gesehen, dass du ebenfalls gelitten hast. Auch das tut mir leid.«
Er hob den Blick und begegnete ihrem. Ihr tat es leid? Sie hatte nichts Böses getan.
Aber ich.
Er räusperte sich und hoffte, dass seine Stimme fest klingen würde. »Warum sollen wir ausgerechnet jetzt darüber reden?«
Sie lehnte sich wieder zurück. »Weil ich schon lange darüber nachdenke und dich schon so oft danach fragen wollte. Irgendwie war aber nie der richtige Zeitpunkt, also ließ ich es sein. Ich erwarte nicht, dass du das verstehst.«
Er dachte daran, wie oft er das Gespräch mit Olivia aufgeschoben hatte. »Mehr, als du denkst.«
Sie beugte sich vor und legte eine Hand auf seine. »Seit Jahren sehe ich zu, wie du dich und das, was du kannst, für andere einsetzt. Großartig. Aber ich sehe auch, wie einsam du bist, und das bricht mir das Herz. Dennoch bist du ein erwachsener Mann, also habe ich mich zurückgehalten.«
»Und jetzt?«
»Jetzt … jetzt sah es so aus, als würdest du endlich anfangen zu leben. Also bin ich in der Hoffnung hier, dass du langsam zur Ruhe kommst. Stattdessen finde ich eine leere Wohnung vor und einen
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