Feuersang und Schattentraum (Die Sumpfloch-Saga) (German Edition)
verzweifelten Blick aus ihren blauen Augen zu und ging mit den Soldaten aus dem Raum. Haul nahm an, dass die unsichtbare Corvina mit ihnen gegangen war, doch nur wenige Augenblicke später tauchte sie neben dem Soldaten auf, der Haul mit der Waffe bedrohte.
„Warte noch ein Weilchen, bis wir weit genug weg sind“, befahl sie ihm, „dann drückst du ab. Er ist nur ein Risiko und ich brauche euch unten im Garten!“
Sie verschwand erneut und Haul umriss gedanklich seine denkbar ungünstige Ausgangsposition: Er war bewaffnet, doch sobald er auch nur ansatzweise versuchen würde, eine seiner Waffen zu benutzen, würde der Soldat abdrücken und kein Sprung könnte Haul retten, wenn die Waffe direkt auf ihn gerichtet war, so wie jetzt. Abgesehen von dem Soldaten lauerte auch noch ein Nachtler mit einem langen Messer in der Ecke. Und leider, das war das Ärgerlichste an dieser Konstellation, würde der Soldat so oder so abdrücken. In einem Weilchen, wie Corvina es ausgedrückt hatte.
Haul musste handeln, auch wenn es höchst riskant und gefährlich war. Ihm blieb nichts anderes übrig. Seine Gespenster-Augen registrierten und speicherten jedes noch so kleine Detail und suchten bei seinen Gegnern nach Schwachstellen. Schließlich fixierte er eine pochende Ader am Hals des Soldaten, ließ die Klinge des Nachtler-Schwerts dabei nicht aus den Augen und sprang in die Höhe.
Berry war an diesem Morgen schon in der Bibliothek von Gürkel gewesen und sehr glücklich über ihre Ausbeute. Eine ganze Tasche voller Bücher wartete darauf, von ihr im Schatten eines Baums gelesen zu werden, mit einer Tüte Kümmelbrezeln zur Linken und einer Flasche Veilchenbrause zur Rechten. All das hatte sie zu eben diesem erlesenen Zweck in Gürkel erstanden. Ihre Tasche war schwer, weil sie auch für Thuna und Maria, die das Schulgelände nicht verlassen durften, einige Besorgungen gemacht hatte.
Während sie also den Taschentrag-Zauber, der ihr die Last erleichterte, erneuerte und gleichzeitig überlegte, mit welchem Buch sie anfangen würde („Der Schwur des Jaguarmannes“ oder „Die geheimen Wünsche der Nornen“), fielen von den umstehenden Bäumen plötzlich drei Nachtler ins Gras. Gleichzeitig trat ein Zauberer mittleren Alters hinter einem Baum hervor und lähmte Berry mit einem so heftigen Schwur, dass sie fast keine Luft mehr bekam. Ihr fiel die Tasche aus der Hand und sie konnte gerade noch in die Knie gehen und sich ins Gras setzen, bevor ihre Muskeln ihr den Dienst verweigerten.
An einer anderen Stelle im Garten alberte Ritter Gangwolf mit seinem Lieblingsflugwurm herum. Legionär schlug heftig mit seinem langen Schwanz, während er versuchte, seinem Herrn einen Apfel aus der Hand zu klauen, was ihm aber partout nicht gelingen wollte, da Ritter Gangwolf den Apfel immer im letzten Moment wegzuziehen vermochte. Dafür senste Legionär mit seinem kräftigen Schwanz einen Pfosten um, an dem eine sehr lange Wäscheleine befestigt war. Diese Wäscheleine hatte Wanda Flabbi erst heute Morgen mit Hunderten von frisch gewaschenen Wäschestücken behängt, die nun allesamt in die feuchte Wiese segelten.
„Oh, oh“, sagte Ritter Gangwolf. „Legionär, du bist so ein Spitzbub. Hier hast den Apfel zur Belohnung und wir beiden suchen besser das Weite!“
„Nichts dazugelernt in all den Jahren!“, rief eine vertraute Stimme, die Ritter Gangwolf dazu veranlasste, nicht das Weite zu suchen, sondern sich umzudrehen.
Er erblickte Alabastra, seine alte Freundin, die elegant, gefährlich und vieläugig hinter einem Schuppen hervorkam. Früher – und es war fast immer noch so – hatte sich Gangwolf immer gefreut, sie zu sehen. Doch ihr Auftritt an diesem Ort, zu dieser Zeit und nach allem, was geschehen war, verhieß nichts Gutes.
„Wo kommst du denn auf einmal her?“, fragte er.
„Wenn man eine Festung mit Soldaten umstellt“, sagte die Spinnenfrau, „dann sollte man sicher sein, dass einem all diese Soldaten treu ergeben sind.“
„Ach, sind sie das nicht?“
„Spätestens seit dem Anschlag auf Tolois sollte jeder begriffen haben, dass es Abteilungen beim Militär gibt, die den Kurs der Regierung nicht gutheißen.“
„Ich finde es erstaunlich, dass diese Abteilungen galant zu Spinnenfrauen sind.“
„Tja, man lernt nie aus!“
Sie kam näher und Ritter Gangwolf wich nicht aus. Es wäre ihm vollkommen lächerlich vorgekommen, nach all den Jahren Angst vor seiner Ziehmutter zu haben, Spinnengift hin oder
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