Feuersang und Schattentraum (Die Sumpfloch-Saga) (German Edition)
sinnlos es ist, zwei Heere gegeneinander in den Krieg zu schicken.“
Gerald empfand nicht nur Ehrfurcht, sondern auch gewöhnliche Furcht. Die Spiegelwelt mochte den gefallenen, feindlichen Soldaten ein angemessenes Grabmal errichtet haben. Aber wer hatte sie getötet? Woran waren sie gestorben?
„Ich möchte diesen Ort nicht zum Feind haben“, sagte Hanns, der etwas Ähnliches gedacht haben musste. „Und schon g-gar nicht als eine solche Platte an der Wand enden.“
Maria, die an all den Platten entlanggegangen und sich alle Gesichter genau angesehen hatte, sagte:
„Ich weiß nicht, was mit ihnen passiert ist. Aber ich glaube, es ist gefährlich, hier drin eingeschlossen zu sein. Ich war auch eingeschlossen und es hätte mich fast umgebracht.“
Nach einer angemessenen Zeit der Stille verließen sie die Gruft. Hanns und Grohann widmeten sich den Türen, die sie versiegeln wollten, und Gerald, Maria, Lisandra und Haul stiegen ins oberste Stockwerk des Treppenhauses, um sich anzusehen, was aus dem Loch geworden war, das ins alte Sumpfloch führte.
Es war nicht gewachsen. Es war unverändert.
„Glaubst du immer noch, dass Torck zurückkommt?“, fragte Gerald.
„Ja, ganz sicher tut er das“, antwortete Maria. „Aber Zeit ist für ihn etwas anderes als für uns. Er lebt ja schon so lange.“
Sie verzichteten darauf, das alte Sumpfloch zu besuchen, sondern kehrten in die Wohnräume zurück, um Tee zu trinken. Denn auch das hatten sie vermisst. Sogar Lisandra und Haul legten Wert darauf, eine Tasse angeboten zu bekommen.
„Wieso legen sie Soldaten in eine Gruft und reparieren alle Räume, aber schaffen es nicht, mir meine Tasse wieder zusammenzukleben?“, fragte Gerald, als ihm Maria eine Tasse reichte, die mit den Ranken wilder Erdbeeren bemalt war.
„Manches lässt sich eben nicht mehr flicken“, sagte sie. „So wie Tote nicht mehr aufwachen können. Oh – was rede ich? Verzeihung, Haul!“
Haul schüttelte den Kopf.
„Ich bin nicht mehr die gleiche Person, die damals gestorben ist. Insofern hast du recht. Und die Tasse mit den Erdbeeren ist auch schön, Gerald!“
Damit hatte Haul etwas Wahres gesagt. Die Tasse war schön und Gerald war zufrieden. Mehr als das sogar. Er war endlich wieder froh.
Kapitel 29: Vor deiner Zeit
Eine weitere Woche zog ins Land und nicht das geringste Anzeichen einer Bedrohung trübte das Licht der von flaumig weißen Schleiern verhüllten Herbstsonne. Aus diesem Grund wagte es Grohann, für einen Tag aus seinen Pflichten auszubrechen und mit Thuna in den bösen Wald zu gehen. Es war erst ihr zweiter Ausflug dieser Art seit Ausbruch der Krise und beide hungerte es nach der wilden, verzauberten Natur, die es in diesem tiefen Wald zu finden gab.
Pollux wiederum, der geflügelte Löwe, den Thuna im bösen Wald besuchte, verzehrte sich nach den Dosen mit geschredderten Vampirmäusen und frisch aufgeschlagenen Flugwurmeiern, die ihm Thuna mitzubringen pflegte. Er bekam sie und so waren alle Beteiligten glücklich (vor allem die Trommelgnome, weil der Löwe an solchen Tagen nicht auf die Jagd ging). Was sie allerdings nicht ahnten, weder Grohann noch Thuna noch die Trommelgnome, war, dass sich die Verschwörer ausgerechnet diesen Tag ausgesucht hatten, um zuzuschlagen. Allen Sicherheitsmaßnahmen zum Trotz waren sie plötzlich da.
Haul und Lisandra rechneten mit keinem Angriff, als sie um die Mittagszeit in Hauls Zimmer gingen, um etwas zu holen. Während die Zimmertür offen stand, verloren sie sich in einem kleinen Spaßstreit darüber, was schlimmer sei: Das stickige Klima von Sumpfloch oder die fast ganzjährige Kälte in Fortinbrack. Als Haul sehr plötzlich mit dem Kopf herumfuhr, da seine Gespenster-Ohren etwas Verdächtiges vernommen hatten, war es schon zu spät.
Eine Frau mit schwarzen, strähnigen Haaren und einer ungewöhnlich großen Nase wurde plötzlich sichtbar und richtete eine Waffe auf Hauls Kopf. Es war eine dieser kleineren Schusswaffen mit Glaskolben, die normalerweise ein magikalisches Gas auf den Gegner abfeuerten und diesen betäubten. In diesem Fall besaß die Waffe zwei Glaskolben, die größer waren als gewöhnlich und in denen kleine Unwetter aus blauen und weißen Gasen tobten. Manchmal blitzte es in diesen Gemischen ungut auf. Der Blick, den Haul auf diese Glaskolben warf, ging Lisandra durch Mark und Bein. Sie hatte noch nie eine solche Panik in seinen Augen gesehen.
„Keine Bewegung, Gespenst!“, rief die Frau, bei der es
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