Feuersang und Schattentraum (Die Sumpfloch-Saga) (German Edition)
besser nicht aus, sondern geh ihm aus dem Weg.“
Das war nicht die Sorte Auskunft, die Scarlett an diesem Tag aufbaute. Stunden um Stunden hatte sie versucht, sich zu verwandeln, und war absolut erfolglos gewesen. Viego Vandalez, der mit ihr nach der Ursache für dieses Unvermögen gesucht hatte, stand vor einem Rätsel. Er hatte Scarlett gut zugeredet, dass sie dem Geheimnis noch auf die Spur kommen würden und sie den Kopf nicht hängen lassen sollte. Doch das änderte nichts daran, dass Scarlett sich schlecht fühlte. Als sie dann auch noch erfuhr, dass Gerald verschollen war, gab ihr das den Rest. Am liebsten hätte sie sich in eine dunkle Ecke verkrochen und mit ihrem Schicksal gehadert, doch das durfte sie ja nicht. Sie musste in den Ghul-Kindergarten gehen und durfte ihre Freunde nicht mal verteidigen, wenn sie angegriffen würden.
„Halb so schlimm“, sagte Berry zu ihrer sehr wortkargen Freundin, als sie an diesem Abend wie gewünscht als Gruppe in den Garten spazierten. „Wir haben Glück im Unglück. Maria und Gerald konnten fliehen, Lisandra ist nicht vom Ghul gefressen worden und Hanns ist so wichtig, dass er im stillen Kämmerchen spiegelfonieren muss und nicht für uns die Ghul-Polizei spielen kann. Ich hatte schon befürchtet, dass uns Grohann mit dem Herrscher von Fortinbrack zwangsbeglückt, aber das bleibt uns immerhin erspart.“
„Vergiss nicht, er ist ein guter Freund von mir.“
„Ein guter Freund von dir und zufällig auch ein hinterhältiger, machtbesessener Lügner!“
„Jedem seine Meinung“, sagte Lisandra, die hinter Berry ging.
„Wenn unsere Meinungen so weit auseinanderliegen wie in diesem Fall“, erwiderte Berry, „dann kann nur eine von uns recht haben. Aber stell dir vor, Lissi – es wäre mir lieber, wenn du recht hättest!“
„Das ehrt dich“, meinte Thuna.
Überflüssig zu erwähnen, dass Thuna die Krankenstation am Nachmittag genauso gesund wieder verlassen hatte, wie sie von Lars hineingeführt worden war. Sie hatte ein schlechtes Gewissen deswegen, weil sie Lars’ Gutmütigkeit für ein Täuschungsmanöver missbraucht hatte, aber er durfte nun mal nichts von Hyldas Anwesenheit in Sumpfloch erfahren. Thuna erinnerte sich nur zu gut daran, dass Lars keine Geheimnisse bewahren konnte. Er hatte Grohann vor mehr als einem Jahr verraten, dass Thuna, Lisandra und Maria Erdenkinder waren. Heute Nachmittag, als er brav und ausdauernd an ihrem Krankenbett gesessen hatte, bis Estephaga nach einem prüfenden Blick aus dem Fenster erklärt hatte, Thuna fehle nichts, war Thuna bereit gewesen, ihm zu verzeihen. Jeder machte mal Fehler. Und Lars hatte doch immerhin ein großes Herz.
„Es ist gar nicht ehrenvoll gemeint“, sagte Berry. „Ich will nur nicht, dass uns die stotternde Hoheit aufs Kreuz legt!“
„Hey, das ist nicht nett!“, rief Lisandra.
„Was?“
„Dass du ihn ‚stotternde Hoheit’ nennst!“
„Er stottert und er ist eine Hoheit, also kann ich ihn auch so nennen. Und er hat es ganz bestimmt nicht nötig, dass du ihn in Schutz nimmst, er ist nämlich sehr selbstbewusst und gefährlich und mit seiner Stotterei lenkt er euch alle fabelhaft davon ab, L-l-lisandra!“
Lisandra lachte.
„Wenn du es sagst, B-b-berry!“
„Du, Thuna?“, fragte Rackiné leise.
„Ja, Stoffhäschen?“
„Wie oft soll ich dir noch sagen, dass du mich nicht …“
„Entschuldige. Ja, Rackiné?“
„Ghule eignen sich doch die Fähigkeiten ihrer Opfer an, richtig?“
„Ja, so ist es.“
„Welche Fähigkeit würde sich der Ghul aneignen, wenn er mich aussaugen würde?“
„Hm, mal überlegen … er bekäme sicher ein flauschiges Fell, würde den Schulgarten kahl fressen und könnte sprechen.“
„Das dachte ich mir.“
„Was dachtest du dir?“
„Dass ich keine besonderen Fähigkeiten habe.“
Das sagte er so armselig, dass Thuna der Hase leidtat. Er war mittlerweile so groß wie sie, doch er kam ihr vom Gefühl her wesentlich kleiner vor.
„Mach dir darüber keinen Kopf, Stoffh … Rackiné. Meine Fähigkeiten sind auch nicht so berühmt und irgendwie stelle ich selten was Kluges damit an. Ich weiß nicht, wie man mit Sternenstaub zaubert, mit meiner Gedankenleserei belästige ich andere Leute und unter Wasser atmen zu können, ist nett, aber in den meisten Situationen des Lebens komplett überflüssig.“
„Du bist eine Fee“, sagte Rackiné ernst und getragen. „Die einzige, die es auf dieser Welt gibt!“
Thuna zuckte mit den Achseln.
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