Feuerscherben
nicht einmal mehr in die Augen blicken konnten?
»Überlass das lieber mir«, schlug Ben vor, als das Blut durch den dicken Verband sickerte, den Dianna um den Finger gewickelt hatte. »Du blutest ziemlich kräftig für solch einen kleinen Schnitt. Vielleicht ist noch ein Glassplitter drin.« Dianna betrachtete die Wunde, die zwar klein, aber unangenehm tief war und ausgezackte Ränder hatte. Es war nicht auszuschließen, dass sich noch Glassplitter darin befanden. Zögernd streckte sie die Hand aus und ärgerte sich, dass ihre Haut selbst bei dieser banalen Handlung zu prickeln begann. Sie konnte Bens leidenschaftliche Liebkosungen nicht vergessen.
Ben schien nicht unter solchen lustvollen Erinnerungen zu leiden. Vorsichtig drückte er den Schnitt auseinander. »Ich kann kein Glas erkennen«, sagte er. »Lass trotzdem kaltes Wasser darüberfließen, während ich ein Desinfektionsmittel und ein Pflaster hole. Wo bewahrst du deinen Erste-Hilfe-Kasten auf?«
»In dem dreieckigen Schrank im Badezimmer. Es ist ein kleiner Kunststoffbehälter.«
Ben machte sich auf die Suche, und Dianna ging zum Spülbecken hinüber. Es ist ganz gut, wenn der Abend so endet, dachte sie und drehte den Wasserhahn auf. Besser, Ben und ich verhalten uns wie höfliche Bekannte als wie ein gescheitertes Liebespaar. Sicher, es wäre wunderbar gewesen, die ganze Nacht in seinen Armen zu liegen, über unverfängliche Themen zu reden, zwischendurch ein Glas Wein zu trinken, sich erneut zu lieben und morgen gemeinsam mit Kaffee und frischen Croissants vom Bäcker an der Ecke zu frühstücken.
Doch es war sinnlos, einer Sache nachzutrauern, die man nicht bekommen konnte. Ben war Andrew Campbells leitender Mitarbeiter, und die beiden Männer schienen sich gut zu verstehen. Die leidenschaftliche Verbindung, nach der sie sich sehnte, war sicher nicht mit jedem Mann möglich, gewiss nicht mit Ben. Auf lange Sicht würde es weniger schmerzen, wenn sie hier und jetzt einsah, dass ihre Beziehung keine Zukunft hatte. Und weil sie keine Zukunft hatte, war es nur vernünftig, wenn sie Schluss machten, bevor …
Dianna stutzte plötzlich. Bevor was?, fragte sie sich und starrte auf das fließende Wasser, ohne es zu sehen. Wenn sie es genau bedachte, hatte sie in letzter Zeit kaum etwas getan, das man als vernünftig bezeichnen konnte.
Ben kehrte mit dem blau-weißen Erste-Hilfe-Kasten zurück. Dianna stellte das Wasser ab und streckte ihm den Finger hin. Aus jahrelanger Erfahrung als Glasbläserin wusste sie, dass der winzigste Glassplitter Schnitte verursachen konnte, die nur langsam heilten. Deshalb wunderte sie sich nicht, dass ihr Finger immer noch wässerig blutete.
Ben tupfte die Wunde geschickt trocken, tat einen Klecks Desinfektionsmittel darauf, legte einen Gazestreifen darüber und befestigte ihn mit einem Pflaster.
»So, das dürfte reichen«, erklärte er kühl, »Kann ich sonst noch etwas für dich tun, bevor ich gehe? Zum Beispiel die restlichen Glasscherben zusammenfegen?«
»Nein, danke. Das ist fast erledigt. Ich bin es gewohnt, mit zerbrochenem Glas umzugehen. So etwas lernt man in meinem Beruf.«
»Das kann ich mir vorstellen.«
Sie lächelte so unbefangen wie möglich, streckte ihm die Hand hin, zog sie jedoch wieder fort, bevor er ihre Finger ergreifen konnte. »Nun, dann mach’s gut, Ben. Ich möchte dich nicht unnötig aufhalten.«
»Ein einfühlsamer Mann könnte jetzt annehmen, dass er gehen soll«, meinte er kläglich und verzog den Mund, Dianna fiel das Lächeln immer schwerer. »Ich glaube, das wäre am besten.« Es war lächerlich, dass sie insgeheim hoffte, Ben würde bleiben, sich vorbeugen, sie verzehrend- küssen und ins Schlafzimmer zurücktragen. Der Sex würde großartig sein, daran zweifelte sie keinen Moment. Aber die Folgen wären katastrophal.
Ben stellte den Erste-Hilfe-Kasten auf die Anrichte. »Ich habe dies hier auf dem Boden im Schlafzimmer gefunden«, sagte er und zog das goldene Medaillon ihrer Großmutter aus der Jackentasche. »Leider ist der Verschluss zerbrochen. Ich nehme an, du bist irgendwo mit der Kette hängen geblieben.«
Dianna riss ihm das Schmuckstück beinahe aus der Hand. Wie hatte sie das Medaillon vergessen können, als sie mit Ben auf das Bett taumelte? Vorsichtig strich sie mit dem Daumen über den winzigen unsichtbaren Riegel, der die beiden Seiten verschloss. Hatte Ben das Medaillon geöffnet? Hatte er die Fotos ihrer Eltern gesehen? Sie merkte, dass er sie aufmerksam
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