Feuerschwingen
Verlust bisweilen nahezu unerträglich.
Sobald Anthony sie in seine Arme schloss, kehrte das Gefühl von Geborgenheit jedoch zurück, das sie in Gesellschaft ihres Vaters, mehr noch als in der Nähe der Mutter, empfunden hatte. Das unheimliche Ding in ihrem Inneren, das mit ihrem Leben zu schützen sie Gabriel geschworen hatte und das ihr wie ein Schatten auf der Seele lag – in Anthonys Gegenwart war es nicht zu spüren. Fast so, als zöge es sich weiter zurück, um ihm nicht zu schaden. Diese Beobachtung war es auch, die den Wunsch nach einer gemeinsamen Zukunft geweckt hatte, und nur deshalb hatte sie ihn überhaupt so weit in ihr Leben hineingelassen.
Mila erinnerte sich genau daran, wie Gabriel einmal angedeutet hatte, dass sie mit viel Glück eines Tages ihren Seelengefährten finden könnte, der gegen die gewaltige Gefahr, die ihre verborgenen Kräfte bedeuteten, immun wäre. Als sie ihn später darauf angesprochen hatte, wirkte er, als bereute er es, dazu etwas gesagt zu haben. Vergiss es, die meisten Geschöpfe suchen jahrhundertelang vergeblich nach ihrem Seelenpartner.
Und diese Zeit habe ich nicht einmal , hatte sie entgegnet und sich über seine Antwort gewundert. Denn Gabriel, der sonst immer alles wusste, hatte sie lange angesehen und schließlich gesagt: Ich weiß nicht, wie viel Zeit dir bleibt, Miljena. Er hatte sie immer bei ihrem vollständigen Namen genannt.
Wenn er doch nur endlich wieder einmal zu ihr zurückkehrte, um all ihre Fragen zu beantworten. Vielleicht hätte er ihr auch sagen können, ob Anthony wirklich der Richtige für sie war. Aber Engel konnte man nicht einfach anrufen, und so musste sie wohl oder übel darauf warten, dass sich Gabriel wieder an sie erinnerte.
Tränen tropften auf den Tisch. Ungeduldig wischte sie mit der Hand darüber und stand auf, um die Pfannkuchen zu backen, auf die sie sich eigentlich schon den ganzen Tag gefreut hatte. Trotzig aß sie die Hälfte auf, obwohl ihr der Appetit vergangen war. Sie fror, und sie fühlte sich allein. Schließlich ging sie hinaus, um Holz für den Kamin zu holen. Ein warmer Ofen und eine ordentliche Tasse Suppe hellen die Seele auf , hörte sie ihre Mutter sagen. Häufig genug hatten sie beides nicht gehabt.
Anstelle der Suppe gönnte sie sich heute ein Glas Rotwein, aber Streichhölzer konnte sie nirgends finden. Es überraschte sie nach einem verkorksten Tag wie diesem kaum. Der Wind heulte im Kamin, als wollte er sich über sie lustig machen. Vom Meer war inzwischen Nebel aufgestiegen und über die Wiesen weit ins Festland gekrochen.
Niemand ist hier, was zögerst du noch? Die Versuchung war ihre ständige Begleiterin.
Kurz entschlossen streckte sie die Hand aus und konzentrierte sich. Ein klein bisschen musste sie wohl aus der Übung sein, denn es dauerte einige Sekunden, bis das helle Licht ihrer geheimnisvollen Energie dem Ruf folgte. Erleichtert atmete sie auf. Es tat so unvorstellbar gut, als das ererbte Engelsfeuer ihr Inneres erwärmte und die magische Kraft sie umschmeichelte. Mila spürte die Erde unter den Sohlen, als wüchsen ihr Wurzeln, die sie fest in dieser Welt verankerten. Die Luft flirrte, schickte einen warmen Wind, der ihr Haar sanft anhob und ihr zuflüsterte, sie brauche nur die Schwingen auszubreiten und sich in den Himmelsdom zu erheben, um mit den Elementen einen fantastischen Reigen zu tanzen – die Welt läge ihr zu Füßen. Wie zur Bestätigung flammten die Kerzen auf, und bald prasselte auch im Kamin ein Feuer.
Behutsam, wie Gabriel es sie gelehrt hatte, sandte sie die Magie zurück in ihr Versteck, wo sie sich wie eine Katze zusammenrollte, den Kopf senkte und mit dem geflüsterten Versprechen Ich komme wieder die Augen schloss. Wenn doch nur alles so einfach zu beherrschen wäre. Doch wenigstens fühlte Mila jetzt keine Trauer mehr.
Befreit und mit sich selbst im Reinen setzte sie sich und zog die Füße aufs weiche Sofa. Aufmerksam hielt sie ihr Weinglas gegen das Licht, um die Geschichte des edlen Tropfens zu erfahren.
Regen hatte den sonnenverwöhnten Boden getränkt, in dem die Reben tief verwurzelt wuchsen und sich nährten, während der Wind sanft die Blätter hob, damit Sonnenwärme die Trauben wachküssen konnte. Zum Dank trug der tiefrote Wein nun von jedem seiner Paten ein kostbares Geschenk in sich. Mila nahm einen Schluck und atmete tief durch. Das sollte ich viel öfter machen , dachte sie und schlug ihr Buch auf.
Der nächste Tag brachte die Sonne zurück. Mila wählte
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