Feuersteins Drittes
zwölfte Reise nach Thailand. Und soweit ich weiß, gab es seither nur ein einziges weiteres Kathin, im Jahr 1999, zum 72. Geburtstag des Königs.
Hauptproblem für Volk und Touristen ist dabei: Wie kriegt man dieses Schauspiel zu Gesicht? Eigentlich nur im Fernsehen, denn vor Ort ist die Sache so gut wie hoffnungslos. Schon Stunden vorher sind die Straßen der Umgebung verstopft, denn es gibt kaum Zugang zum Fluss, und die wenigen Lokale mit Uferterrassen sowie die drei Schiffsanlegestellen dieser Gegend sind längst überfüllt. Die einzige Brücke, von der aus man ein bisschen was sehen könnte, liegt fast schon hinter der Flussbiegung, und ein großer Teil beider Ufer wird von Regierungsgebäuden und Tempeln besetzt. Nur für offizielle Gäste steht so etwas wie eine kleine Tribüne bereit, und vor den wenigen Privathäusern verkaufen findige Hausherren Einlasskarten für den Hinterhof.
Chef-Concierge Khun Sompong, mein umsichtiger Schutzengel im Hotel, hatte mich mit Fahrer und Straßenskizze ausgestattet. Mit Hilfe des Ersteren schaffte ich es tatsächlich, trotz Verkehrschaos auf die andere Seite des Flusses zu gelangen, in die Nähe der Phrannok-Straße, die in den großen Lebensmittelmarkt direkt am Ufer mündet. Und dank der Zweiten schlug ich mich zu Fuß bis zu dem kleinen Restaurant durch, das er für mich aufgemalt hatte. Dort hielt ich dem Türsteher Sompongs Visitenkarte vor die Nase, auf der ein paar thailändische Wörter standen, zahlte 200 Baht — damals der Gegenwert von zwanzig Bieren in jeder anständigen Bar (und zehn in jeder unanständigen) — und war drin.
Leider hatten vor mir schon ein paar hundert andere Leute die gleiche Idee gehabt, und so stand ich ganz hinten an die Wand gequetscht und hätte niemals geahnt, dass sich vor mir ein Fluss befindet, wäre dieser nicht in Sompongs Skizze eingezeichnet gewesen. Zwar bin ich — für asiatische Maßstäbe — mit 1,65 von geradezu stattlicher Größe, doch nutzt das nichts, wenn man hinter einem Dutzend Leute steht, auch wenn diese nur 1,64 sind. Ich sah nur Hinterköpfe.
Nun gab es schon damals etliche hohe Gebäude am Flussrand, und auch unsere Kneipe war mehrstöckig, mit einer weiteren Gastterrasse im Obergeschoss. Aber vor der Treppe stand ein Polizist mit verschränkten Armen, denn Thailand, das freundlichste Land der Welt, hat ein respektvolles, aber für Touristen äußerst unangenehmes Gesetz: Niemand darf über dem König stehen. Niemand darf auf ihn herabschauen. Und wenn sich der König auf dem Wasser befindet, darf ihn auch niemand am Ufer überragen. Nur auf der untersten Ebene darf man ihm huldigen. Polizeipatrouillen sorgen streng dafür, dass niemand aus dem Fenster linst.
Nicht größer zu sein als der andere, vor allem, wenn dieser einen höheren sozialen Rang hat, ist fester Bestandteil asiatischer Tradition. In Japan gleicht man Höhenunterschiede durch tiefe Verbeugungen aus, und ganz Südostasien geht leicht in die Hocke, wenn der Chef vorüberrauscht. Und wenn sich der Kellner in Thailand vor seinen Gast kniet, um die Bestellung aufzunehmen, ist dies keineswegs Devotheit, sondern nur sein Bemühen, den Sitzenden nicht zu überragen.
Nicht nur Touristen macht diese Vorschrift zu schaffen, auch für das Hofprotokoll ist sie eine arge Last, da die meisten westlichen Staatschefs viel zu groß für ihr Amt sind. Als Riesenkanzler Helmut Kohl mal auf Staatsbesuch war, mussten komplizierte Laufstege und Podien gezimmert werden, damit sich der König wenigstens im Fernsehen auf gleicher Höhe befand. Schade, dass ich nie Staatschef geworden bin: Ich wäre hier hochwillkommen, denn König Bhumipol ist einen guten Zentimeter größer. Ich habe mich damals in Wien persönlich davon überzeugt, und seither sind wir beide kaum gewachsen.
Ich weiß nicht, ob die Thailänder ihren König wirklich so lieben, wie das allgemein behauptet wird, aber auf alle Fälle verehren sie ihn, ehrlich und grenzenlos. Da hängt bestimmt nach, dass Thailand bis tief ins 20. Jahrhundert hinein eine absolute Monarchie war. Der König war Macht und Gesetz zugleich, allgewaltiger Alleinherrscher über Leben und Tod. Es gab gute Könige, die vor ihren Palast ein Glöckchen hängten, das jeder bimmeln durfte, der mit dem König reden wollte. Aber es gab auch grimmige, die man nicht mal anschauen durfte — wer sich aus dem Staub erhob oder aus dem Türspalt spähte, wurde auf der Stelle geköpft. Unberührbar waren sie alle. Angeblich ist ein
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