Feurige Schatten - Carriger, G: Feurige Schatten - Heartless (04)
angeschirrt. Lady Maccon tätschelte einem der Tiere die Nüstern. Sie mochte die Braunen, sie waren ruhige Pferde mit tänzelnder Gangart und dem Temperament eines Grottenolms. »Und ich dachte, Werwölfe wären einfache, schlichte Geschöpfe.«
»Auf gewisse Weise, Madam, aber sie sind auch unsterblich. Mit der Ewigkeit zurechtzukommen erfordert eine gewisse Komplexität des Geistes.«
»Aber, Rumpet, haben Sie da etwa die Seele eines Philosophen unter diesem tüchtigen Äußeren versteckt?«
»Welcher Butler hat das nicht, Madam?«
»Da haben Sie wahrscheinlich recht.« Lady Maccon gab dem Kutscher das Zeichen, er möge losfahren.
London bei Vollmond war eine völlig andere Stadt als zu jeder anderen Zeit des Monats. In dieser einen Nacht hatten die Vampire das Sagen. Vampirhäuser in ganz England feierten Partys, aber die größte fand in London statt. Schwärmer genossen die Freiheit, dass sie überall herumstreifen konnten. Es war nicht so, dass die Vampire von den Werwölfen in irgendeiner Hinsicht im Zaum gehalten wurden, aber durch die garantierte Abwesenheit der Werwölfe verhielten sich die Vampire dennoch wesentlich ungezwungener.
Außerdem nahmen es die Tageslichtler als Vorwand, die ganze Nacht lang zu tanzen. Die Giffard-Flotte bot bei Vollmond Kurzstreckenausflüge für Touristen über London an, und so befanden sich die meisten ihrer Luftschiffe am Himmel. Manche von ihnen wurden sogar für private Partys gemietet. Ein paar Luftschiffe waren mit Feuerwerksmaschinen ausgestattet, die bunte Explosionen aus rot und gelb glitzernden Funken in den Himmel schossen.
Es war jedes Mal eine anstrengende Nacht für BUR . Einige der Mitarbeiter waren Werwölfe – drei vom Woolsey-Rudel, zwei von den königlichen Growlers und ein Einzelgänger –, und zudem war eine Anzahl von Posten mit Clavigern besetzt. Sie alle waren natürlich an diesem Abend nicht anwesend, und die Vampire, die für BUR tätig waren, ebenso, denn sie nahmen an den Festlichkeiten teil. So war das Bureau erheblich unterbesetzt. Ein paar Gespenster widmeten allem, was während dieser Extravaganzen vor sich ging, sehr genaue Aufmerksamkeit, aber sie konnten nicht körperlich eingreifen, wenn das notwendig wurde. Also blieb der Großteil der Arbeit während des Vollmonds an den sterblichen Agenten hängen, allen voran solchen wie Haverbinks – tüchtige, zähe Männer der Arbeiterschicht, die Gefahr nicht scheuten und ein Gespür für Schwierigkeiten hatten. Natürlich mischten sich die Drohnen des Wesirs ebenfalls unters Volk, aber man konnte sich nicht darauf verlassen, dass sie das, was sie herausfanden, auch an BUR weiterleiteten, selbst wenn die Gerüchte wahr sein sollten, dass Lord Maccon in Lord Akeldamas Schrankzimmer schlief.
Lady Maccon mochte den Vollmond. Er hatte etwas unwiderstehlich Festliches an sich. London summte vor Aufregung und dunklen, alten Geheimnissen. Zugegeben, da gab es Fangzähne und Blut und ähnlich unappetitliche Dinge, andererseits brachte der Vollmond aber auch Blutwurstpasteten, kleine Zuckerwölfe und andere Leckereien mit sich. Lady Maccon ließ sich nur allzu gern von ihrem Magen lenken, wenn es darum ging zu entscheiden, an welcher Veranstaltung sie teilnehmen wollte. Es lag an der schlechten Qualität der angebotenen Speisen, nicht der Gesellschaft, dass sie die Einladungen zu den meisten öffentlichen Veranstaltungen ablehnte. Der Rest der feinen Gesellschaft, der nichts von den Kriterien wusste, die Alexias Entscheidungen zugrunde lagen, hielt ihr Verhalten daher für versnobt und befand es für gut und richtig.
Abgesehen vom Essen und dem reizenden Anblick der Luftschiffe, die als dunkle Silhouetten am Mond vorbeischwebten, genoss es Alexia, dass in einer von Vampiren dominierten Nacht jedermann seine besten Kleider und Manieren zur Schau stellte. Wenngleich ihr eigener Geschmack zugegebenermaßen eher langweilig war, gefiel es Alexia doch zu sehen, in was sich all die hochmodischen Pfauen hüllten. In den besseren Vierteln Londons gab es beinahe alles zu bestaunen, von den neuesten Abendkleidern aus Paris bis hin zu den ans Zweckmäßige grenzenden Flugkleidern aus Amerika. Es war ein wahres Füllhorn visueller Freuden, das sich einem bot, wenn man einfach nur durch die überfüllten Straßen fuhr.
Wäre Alexia nicht so fasziniert davon gewesen, dass sie ihr Gesicht fest an die Scheibe des Kutschfensters drückte, hätte sie das Stachelschwein übersehen.
Doch sie sah es, und
Weitere Kostenlose Bücher