Fey 06: Die Erben der Macht
Getümmel.
42
Arianna keuchte. Das Schwert war schwerer, als sie erwartet hatte, und ihre Arme begannen zu erlahmen. Sie hatte sie in den letzten Tagen zu oft als Flügel benutzt.
Alle Augen waren auf sie gerichtet. Die Wachen hatten die Hände auf die eigenen Schwertgriffe gelegt. Ihr Vater rührte sich nicht, und neben ihm stand Sebastian. Der Schwarze König beobachtete sie. Nur seine Augen in dem sonnenverbrannten Gesicht schienen lebendig.
»Weißt du, was passieren wird, wenn du mich mit diesem Schwert verletzt?« fragte er. Er sah noch nicht einmal aus, als fürchte er sich.
Arianna wußte es, aber sie war sich nicht sicher, ob sie den alten Geschichten Glauben schenken sollte. Das waren alles Fey-Schauermärchen, manche davon wahr, andere nicht. Sollte sie das Leben ihrer Familie wegen der Lüge einer Schamanin aufs Spiel setzen?
Aber wenn sie den Schwarzen König wirklich tötete, würden sich im nächsten Augenblick die Wachen auf sie stürzen.
Und auf ihren Vater.
»Man sagt, dann bricht das Chaos aus«, erwiderte sie. Ihre Stimme klang ganz ruhig, obwohl sie sich nicht so fühlte. Ihre Arme zitterten.
»Aber ich glaube nicht daran.«
»Du kannst es ruhig glauben, Mädchen.« Es war, als wären sie ganz allein im Zimmer. Arianna fühlte, welche Macht ihr Urgroßvater ausstrahlte. Er war es gewöhnt zu befehlen, alles unter Kontrolle zu haben. Sogar daß ihr Vater in dem vorangegangenen Wortgefecht die Oberhand gewonnen hatte, schien den Schwarzen König nicht weiter zu beunruhigen. Und selbst jetzt, den Tod vor Augen, wirkte er gelassen.
»Wenn das wahr ist, laßt uns frei«, sagte sie.
»Wozu?« fragte Rugad. »Ich würde euch doch bloß wieder einfangen.«
»Und ich würde wieder versuchen, Euch zu töten.«
»Das würdest du nicht«, entgegnete der Schwarze König. »Du würdest nicht alles für nichts aufs Spiel setzen.«
»Ihr bietet mir nicht alles. Nach Eurem Tod gelange ich sowieso an die Macht, ob Ihr mich nun ausbildet oder nicht. Ich brauche Euch nicht, alter Mann.«
Das hatte gesessen. Rugad schluckte fast unmerklich, aber Arianna hatte es genau gesehen.
»Wenn du mich tötest«, sagte er, »dann tötest du alles, wofür die Fey gekämpft haben. Alles.«
Arianna lächelte. Sie mußte ihre Hand leicht bewegen, um das Schwert noch halten zu können. »Ich habe nie verstanden, wofür die Fey eigentlich kämpfen. Es bedeutet mir nichts.«
»Du würdest die Welt ins Chaos stürzen, Mädchen. Bruder gegen Bruder hetzen, Freund gegen Freund.«
»So wie Ihr es bereits getan habt? Mein Vater hat recht. Ihr hattet keinen Grund, uns anzugreifen. Vielleicht hätten mein Bruder und ich ja freiwillig mit Euch zusammengearbeitet. Vielleicht hättet Ihr das zuerst einmal herausfinden sollen.«
»Du weißt nicht, was du tust«, wiederholte der Schwarze König. Diesmal hörte man seiner Stimme die Verzweiflung an. Sie hatte ihm Angst eingejagt.
Große Angst.
Er wußte nicht, was sie tun würde, wozu sie fähig war.
Es gefiel ihr. Es verschaffte ihr die Macht, die sie brauchte.
»Und trotzdem wollt Ihr, daß ich mit Euch zusammenarbeite«, fuhr sie fort. »Ihr wollt, daß ich Seite an Seite mit Euch kämpfe. Ihr haltet mich für dumm, aber Ihr wollt trotzdem, daß ich ein riesiges Imperium regiere.«
»Du bist nur dumm und unwissend, weil du unter Inselbewohnern aufgewachsen bist. Das läßt sich ändern. Du kannst lernen.«
»Ich bin bei meinem eigenen Volk aufgewachsen.«
Ihr Vater trat einen Schritt vor. Nur einen winzigen Schritt, aber damit geriet er in Ariannas Blickfeld. Im Geiste dankte sie ihm dafür. Es machte alles leichter.
»Dein Volk sind die Fey.«
»Die Fey sind ebensowenig mein Volk wie das meines Vaters«, konterte Arianna. »Euer Volk hat mich nicht haben wollen. Sie wollten mich nicht aufziehen. Sie haben mich hier zurückgelassen, damit ich sterbe. Ohne meinen Vater und Solanda wäre ich schon längst tot. Also erzählt mir nichts über mein Volk.«
»Diese Fey sind ausgelöscht«, erwiderte der Schwarze König leise, fast vorsichtig. »Es waren Versager. Die Fey dulden kein Versagen.«
»Und was wird dann aus Euch, der Ihr Euch von einem kleinen Mädchen habt überwältigen lassen?«
»Du hast mich nicht überwältigt«, sagte der Schwarze König und griff nach der Klinge.
Arianna sah die Bewegung voraus und warf das Schwert mit der rechten Hand ihrem Vater zu. Er fing es im Flug auf. Die Waffe glitt in seine Hand, als wäre sie dafür geschaffen.
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