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Fida (German Edition)

Fida (German Edition)

Titel: Fida (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Maucher
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sich mehrere Bilder und Eindrücke zu einem Einzigen zusammen. Als wäre ihr Geist eine Maschine, betrieben durch Zahnräder die sich bislang verkeilt hatten, aber nun endlich justiert werden und reibungslos ineinander greifen. Wie ein Schwall eiskaltes Brackwasser aus einer Pfütze, jagt ihr der nächste Gedanke einen Schauer über den Rücken. Schon einen Moment später verwirft sie ihn wieder, als zu unglaublich, zu absurd, bevor sie dann doch wieder zu ihm zurückkehrt. Sie erinnert sich an das deplatziert wirkende Fahrrad, an zu Boden fallende Plakate und rücksichtsloses Fahrverhalten, an Äste dorniger Büsche, die vor der Kulisse eines verfallenden Gebäudes nach ihr greifen, addiert nach Laura greifende Hände, den Fall ihres toten Körpers in den Brunnen und bleiche Knochen dazu… Erinnerungsfetzen paaren sich mit Instinkt, Logik und ihren größten Ängsten, erzeugen gemeinsam ein grauenvolles Bild vor ihrem geistigen Auge. Bleiche Knochen, umhüllt von den Überresten eines oft gewaschenen Sweatshirts. Knochige Finger, die hilfesuchend nach ihr greifen. Sie liegen abgedeckt unter morschen Brettern, schimmern nachts anklagend im Mondlicht, darauf wartend, endlich gefunden zu werden. Hat sich nicht irgendwo mal gelesen, dass viele Mörder wieder an den Schauplatz des Verbrechens zurückkehren?
    Auf einmal spürt sie eine treibende, innere Unruhe. Noch stärker als heute Mittag, als sie Jochen anrief. Das Verlangen in ihr wächst, sich zu versichern, zu wissen, was Angst und was Realität ist. Die Grenzen dazwischen erscheinen ihr im Augenblick fließend.
    Tatjana glaubt ja selbst nicht, was sie da denkt, doch was macht es, wenn sie dieser Ahnung nachgibt und sich vergewissert, dass sie sich nur etwas zusammen spinnt?
    „Es kann nicht schaden, ein wenig spazieren zu gehen, wenn man sich fühlt, als wäre man kurz vorm verrückt werden, oder?“, fragt sie sich selbst. Prompt gibt sie sich eine Antwort: „Wenn man schon fast durchgeknallt genug ist, zu denken, man könnte Puzzleteile, die womöglich nicht mal zusammen gehören, so einfach zu einem Gesamtbild zusammenfügen und auch noch richtig liegen, dann sollte man definitiv an die frische Luft. Kann ganz bestimmt nicht schaden!“ Sie versucht, durch ihr kleines Selbstgespräch, die Angst, die sie im Moment empfindet, in ein humorvolles Licht zu zerren. Suggeriert sich selbst, sie wäre nicht drauf und dran, einem wirklich seltsamen Drang nachzugehen, nur weil sie einen schlechten Traum und hinterher ein paar wirre Gedanken hatte.
    Die innere Unruhe wird zu stark, die Untätigkeit unerträglich und Tatjana ist es langsam egal, ob sie durchdreht und anfängt, die Kontrolle über sich zu verlieren, ob ihre Ängste ihre Handlungen beeinflussen, oder ob sie sich irrational verhält. Sie hat das grausige Bild ihres toten Kindes vor Augen, dessen lebloser Körper in dem unzureichend abgedeckten Brunnenschacht neben dem verlassenen Haus liegt. In einem nasskalten Grab, ganz in ihrer Nähe. Irgendwo muss das Verbrechen ja passiert sein und könnte man eine Leiche da nicht gut verstecken? Hatte da schon mal jemand nachgesehen? Vielleicht war der Verbrecher heute Mittag dort, um sich zu vergewissern, dass sie noch immer unentdeckt ist. Sie wird dieses grauenvolle Bild nicht mehr aus dem Kopf bekommen, solange sie nicht nachsieht.
    Tatjana geht in die Garage und sucht dort nach einer Taschenlampe, mit der sie in den Schacht hineinleuchten kann, bevor sie sich eine Jacke anzieht und auf den Weg macht.
    Kurze Zeit später kämpft sie sich durch das Gebüsch und stakst über die verwilderte Wiese neben dem alten Haus. Die Beine ihrer Hose werden nass, saugen sich mit Wasser voll, doch das ist ihr ebenfalls egal. Nach kurzem Suchen findet Tatjana die morschen Planken, die auf den letzten Resten des gemauerten Rings liegen, der von dem ehemaligen Brunnen übrig ist. Sie sind fast vollständig vom hohen Gras überwuchert. Mit klopfendem Herzen kniet sie sich daneben nieder, schiebt erst das Gras und dann die halb verrotteten Latten zur Seite. Dann atmet sie tief durch, macht sich auf das Schlimmste gefasst und leuchtet in die Schwärze.
    Ein Teil von ihr rechnete so sehr damit, den Körper ihres Mädchens zu finden, dass es sie regelrecht fassungslos macht, auf dem Grund des Schachts nur Steine und Pfützen voll Wasser zu sehen.
    Ein Großteil der empfundenen Anspannung fällt schlagartig von ihr ab und sie lacht nervös auf. Tatjana ist unendlich erleichtert, dass

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