Fieber
Alles schien sich wie in einer unentrinnbaren Kettenreaktion zu ereignen. Sie warf sich über Chuck, um ihn vor seinem Vater zu schützen. Erst in diesem Augenblick begriff Charles, daß er gerade seinen eigenen Sohn angreifen wollte.
Er machte einen Schritt vorwärts, aber wieder schrie Cathryn auf und breitete abwehrend ihre Arme über dem zusammengekrümmt am Boden liegenden Chuck aus. Gina drängtesich zwischen Charles und die beiden. Dabei murmelte sie etwas von Besessenheit und Teufel.
Charles hob den Kopf. In der Tür stand Jean Paul, der ihn völlig verwirrt ansah. Als der Junge den Blick seines Vaters bemerkte, wich er sofort zurück. Wieder sah Charles auf die Szene vor sich. Ein merkwürdiges Gefühl der Fremdheit beschlich ihn. Im nächsten Moment wandte er sich um und lief aus dem Haus.
Gina ging, um die Tür zu schließen, während Cathryn ihrem ältesten Adoptivsohn auf einen Küchenstuhl half. Sie hörten den Pinto die Zufahrt hinunterschleudern.
»Ich hasse ihn! Ich hasse ihn!« schrie Chuck wütend. Er hielt sich mit beiden Armen den Magen.
»Ruhig, ruhig«, versuchte Cathryn ihn zu besänftigen. »Das ist alles nur ein gräßlicher Alptraum. Du wirst sehen, wir wachen wieder auf und alles ist vorbei.«
»Dein Auge!« rief Gina erschrocken. Sie kam zu Cathryn gelaufen und bog ihr den Kopf leicht in den Nacken.
»Es ist nichts«, sagte Cathryn.
»Nichts? Das Auge ist schon blau und schwarz unterlaufen. Am besten legst du sofort etwas Eis darauf.«
Cathryn ging in den Flur und betrachtete ihr Gesicht in dem kleinen Wandspiegel. In ihrer rechten Augenbraue war ein winziger Riß, und sie bekam tatsächlich ein blaues Auge. Als sie wieder in die Küche kam, hatte Gina bereits die Eiswürfel aus dem Kühlschrank geholt.
Auch Jean Paul erschien wieder in der Küchentür.
»Wenn er dich noch einmal schlägt, dann bring’ ich ihn um«, sagte Chuck.
»Charles junior«, fuhr Cathryn ihn an. »Ich möchte so etwas nicht mehr hören. Charles ist im Moment nicht er selbst. Er steht unter einem fürchterlichen inneren Druck. Außerdem wollte er mich gar nicht schlagen. Er wollte sich nur von meinen Händen befreien.«
»Und ich glaube, er hat sich dem Teufel in die Hände gegeben«, sagte Gina.
»Das reicht jetzt, ein für allemal«, erwiderte Cathryn heftig.
»Und ich denke, daß er verrückt geworden ist«, beharrte Chuck.
Cathryn holte tief Luft, um Chuck zurechtzuweisen, aber dann zögerte sie. Chucks Worte hatten sie nachdenklich gemacht. War es möglich, daß Charles einen Nervenzusammenbruch erlitten hatte? Die Ärzte hatten die Möglichkeit dazu angedeutet, und bisher hatten sie auch mit allem anderen recht behalten. Cathryn fragte sich verzweifelt, woher sie die Kraft nehmen sollte, um die Familie zusammenzuhalten.
Ihr erster Gedanke galt der Sicherheit ihrer Kinder. Cathryn hatte Charles noch nie so unbeherrscht erlebt. Sie brauchte jetzt den Rat eines Spezialisten. In der Hoffnung, daß Dr. Keitzman ihr helfen könnte, rief sie in der Telefonzentrale des Krankenhauses an. Fünf Minuten später rief Dr. Keitzman zurück.
Cathryn erzählte ihm, was sich alles ereignet hatte, daß Charles gegen Michelles Chemotherapie war, daß er mit dem Wagen davongefahren und wahrscheinlich auf dem Weg ins Krankenhaus war.
»Das klingt ja, als hätten wir die Vormundschaft gerade noch rechtzeitig beantragt«, sagte Dr. Keitzman.
Cathryn war nicht nach solcher Selbstbestätigung zumute. »Das mag schon sein, aber ich mache mir Sorgen um Charles. Ich weiß nicht, was ich als Nächstes von ihm zu erwarten habe.«
»Das ist genau das Problem«, erwiderte Dr. Keitzman. »Er könnte Ihnen und der Familie gefährlich werden.«
»Das kann ich nicht glauben«, sagte Cathryn.
»Man kann sich da nicht sicher sein, bis er einen Spezialisten aufgesucht hat. Aber glauben Sie mir, die Möglichkeit besteht durchaus. Vielleicht sollten Sie das Haus für ein, zwei Tage verlassen. Sie müssen auch an Ihre Familie denken.«
»Wir könnten solange zu meiner Mutter ziehen«, sagte Cathryn nachdenklich. Es stimmte, sie durfte jetzt nicht nur an sich selbst denken.
»Das wäre sicherlich das beste. Sie müssen ja nur abwarten, bis Charles sich wieder beruhigt hat.«
»Und was ist, wenn Charles heute nacht ins Krankenhaus kommt?«
»Machen Sie sich darüber keine Sorgen. Ich werde die Station verständigen und der Oberschwester mitteilen lassen, daß Sie im Augenblick die alleinige Vormundschaft haben.«
Cathryn
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