Fieber
riß sie mit der rechten Hand auf. Dann rieb er sich die Armbeuge ab.
»Jetzt ist es soweit. Du kannst anfangen«, sagte Charles und sah zur Seite.
Cathryn holte tief Luft. Jetzt wußte sie, warum sie nie daran gedacht hatte, Medizin zu studieren. Sie bemühte sich, die Nadel ruhig zu halten, setzte die Spitze vorsichtig auf Charles’ Vene und gab der Spritze einen sanften Stoß. Die Haut wurde kaum eingeritzt.
»Du mußt kräftig zustoßen«, forderte Charles sie auf. Er hielt das Gesicht noch immer abgewandt.
Cathryn gab der Spritze einen leichten Stoß. Die Nadel drang etwas tiefer in die Haut ein.
Charles sah auf seinen Arm. Dann holte er mit seiner freien rechten Hand aus und gab der Spritze einen kurzen kräftigen Hieb. Die Nadel durchbrach die Haut und drang in die Vene ein.
»Perfekt«, sagte er. »Jetzt zieh den Kolben noch ein Stück weiter heraus, ohne die Nadelspitze zu bewegen.«
Cathryn tat, was Charles verlangt hatte. Hellrotes Blut schoß in die Spritze.
»Genau getroffen«, lobte Charles und wickelte das Gummiband von seinem Arm. »Jetzt drück den Kolben langsam ein.«
Langsam wanderte der Kolben in die Glasröhre hinein. Als Cathryn ihm schon die Hälfte der Lösung injiziert hatte, rutschten ihr plötzlich die Finger ab. Die Nadel stach tiefer in die Vene, als Cathryn wieder auf den Kolben preßte. Sofort war eine erbsengroße Schwellung in der Armbeuge zu sehen.
»Das macht nichts«, beruhigte Charles sie. »Für das erste Mal war das gar nicht schlecht. Jetzt kannst du die Spritze wieder herausziehen.«
Cathryn zog die Nadel aus seiner Vene, und Charles preßte einen Wattebausch auf die Einstichstelle.
»Es tut mir leid«, sagte Cathryn leise. Sie hatte Angst, ihn verletzt zu haben.
»Es ist wirklich nicht schlimm. Wer weiß, vielleicht hilft es sogar, daß etwas von dem Antigen unter die Haut gegangen ist.« Plötzlich lief sein Gesicht rot an. Er zitterte. »Verdammt«, stieß er mühsam hervor. Cathryn hörte, daß sich seine Stimme verändert hatte. Sie war auf einmal viel heller. »Epinephrin«, sagte er schwach.
Cathryn griff nach einer der kleinen Spritzen. In ihrer Hast, die Schutzkappe abzuziehen, verbog sie die Nadel. Eilig nahm sie die zweite Spritze von der Kommode. Charles, der inzwischen übersät von roten Flecken war, zeigte auf seinen linken Oberarm. Cathryn hielt die Luft an und stieß die Nadel in den Muskel. Diesmal hatte sie genügend Kraft in den Stoß gelegt. Sie drückte den Kolben in die Glasröhre und zog die Spritze wieder heraus. Rasch nahm sie die erste Spritze wieder zur Hand und versuchte, die Nadel geradezubiegen. Als sie Charles gerade die zweite Dosis geben wollte, hob er abwehrend die Hand.
»Es reicht schon«, sagte er leise. Seine Stimme klang noch immer verändert. »Ich kann die Wirkung bereits spüren. Huh! Wie gut, daß du hier warst.«
14. Kapitel
Es war ungefähr halb zehn, als sie sich für die Nacht fertig machten. Vorher hatte Cathryn ein kleines Abendessen bereitet, Charles hatte währenddessen in seinem provisorischen Labor gearbeitet. Er hatte sich etwas Blut abgenommen, die Probe in ihre Zellbestandteile zerlegt und mit Hilfe von roten Schafsblutkörperchen einige T-Lymphozyten herausisoliert. Dann hatte er die T-Lymphozyten mit einigen seiner Gewebsgranulozyten und Michelles Leukämiezellen in den Inkubator gestellt. Als sie sich zum Essen zusammensetzten, hatte er Cathryn gesagt, daß noch kein Anzeichen für eine verzögerte Zwischenzellreaktion zu erkennen war und daß er sich nach Ablauf von vierundzwanzig Stunden eine weitere Spritze mit Michelles Antigen geben müßte.
Michelle war aus ihrem Morphiumschlaf erwacht. Überglücklich hatte sie Cathryn begrüßt. An die Ankunft ihrer Stiefmutter konnte sich Michelle nicht mehr erinnern. Aber sie hatte sich nach dem langen Schlaf wieder besser gefühlt und sogar etwas gegessen.
»Es scheint ihr besser zu gehen«, flüsterte Cathryn, als sie mit Charles das Geschirr in die Küche trug.
»Das ist mehr Schein als Wirklichkeit«, antwortete Charles. »Ihr Körper erholt sich nur wieder von den anderen Medikamenten.«
Charles hatte ein Feuer im Kamin entzündet und die große Matratze aus dem Schlafzimmer heruntergeholt. Er wollte bei Michelle sein, falls sie ihn brauchen sollte.
Als Cathryn sich hingelegt hatte, fühlte sie eine bleischwere Müdigkeit in sich. Da sie Michelle zufrieden und so gut versorgt wie nur möglich wußte, konnte auch sie sich zum ersten Mal
Weitere Kostenlose Bücher